Jonas. Nur Jonas. Und Sam.
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Comeback
Sam: Die Mitternacht zog näher schon, in stummer Ruh lag Babylon.
Jonas: In stummer Ruh, nimm dir ein Beispiel dran, Sammy, und was heißt Mitternacht, es ist fünf nach 8, früher morgen.
Sam: Das war nicht die Zeitansage, du Banane, äh Banause, das war Pöesie, Poesie, Dichtkunst, du verstehen.
Jonas: Sam, mein Computer. Ein Sondermodell. Besonders verbal. Extrem verbal. Er kann seine Klappe nicht halten. Auch wenn er keine hat. Er nervt. Andererseits, was wäre mein Leben ohne Sam. Entspannter. Ruhiger. Und viel viel uninteressanter. Wer will das schon?
Sam: Belsatzar von Heinrich Heine. Ein unsterbliches Meisterwerk. Jehova, dir künd ich auf ewig Hohn, ich bin der König von Babylon.
Jonas: Schluß mit dem Knattergemine, geh ans Fon.
Sam: Oh, da bemüht sich ein kleiner Computer um ein winziges Quäntchen Bildung für seinen total unterbelichteten Herrn und Meister, und was ist der Dank, Knattergemine sagt er.
Jonas: Sam, geh ans Fon.
Sam: Ja, man hört und gehorcht, o Beherrscher der Gläubigen.
Jonas: Wer ist dran.
Sam: Stadtverwaltung Babylon, Amt für freie Berufe.
Jonas: So? Stell durch. Akustik, kein Bildfon.
Sam: Jawohl, kein Bildfon.
Computerstimme: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Jonas. Sie werden hiermit nachdrücklich aufgefordert, zwecks Erneuerung Ihrer Lizenz als privater Detektiv, persönlich im Amt für freie Berufe, Babylon Mitte-Ost, Piazza Sewastopol, vorstellig zu werden, und zwar unverzüglich, widrigenfalls Ihnen die Lizenz entzogen wird, was wiederum Ihre soziale Rückstufung ins Prekariat erforderlich macht, mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Das Amt für freie Berufe wünscht Ihnen noch einen angenehmen Tag, Herr Jonas.
Jonas: Normalerweise springt Jonas nicht, wenn irgendein Amtsschimmel wiehert. Aber hier ging's um alles. Um den Job, den Sozialstatus, die Existenz. Also sprang ich. Unverzüglich. Die wichtigen Behörden in Babylon liegen um den Ernst-August-Platz. Hier ragt das Rathaus in den Himmel, die Sicherheitsverwaltung, das Wirtschaftsministerium. Das Amt für freie Berufe ist total unwichtig. Noch unwichtiger als die Prekariatsverwaltung, mit der sich das Amt eine frühere Kirche teilt. Die Prekariatsverwaltung macht sich im Kirchenschiff breit. Die freien Berufe haben sie in den Turm gequetscht. Unten die Ärzte, Mensch, Tier und Zahn, darüber die Rechtsanwälte, dann die Künstler, ganz oben sonstige. Fahrstuhl Fehlanzeige.
Jonas: Hi.
Bürokrat: Können Sie lesen. Eintritt nur nach Aufruf, steht an der Tür. Sind Sie aufgerufen?
Jonas: Genaugenommen bin ich angerufen. Von Ihnen. Sie wollen was von mir.
Bürokrat: So. Name?
Jonas: Jonas.
Bürokrat: Vor- oder Nach?
Jonas: Beides.
Bürokrat: Also Jonas Jonas.
Jonas: Nein. Nur Jonas. Sie gestatten, daß ich Platz nehme.
Bürokrat: Wenn Sie einen Stuhl finden. Bürgernummer?
Jonas: Ich setzte mich auf den Schreibtisch. Und verriet ihm meine Bürgernummer. Der Typ war grau. Von den Haaren über Gesicht und Anzug bis zu den Schuhen. Staubgrau. Er hockte in seinem grauen Sessel wie angewachsen. Auch das Büro war grau. Graue Aktenregale, graue Akten. Echtes Papier. Grauer Schreibtisch. Darauf ein grauer Laptop. Asbach Uralt. Zwanzig Jahre mindestens.
Bürokrat: Beruf?
Jonas: Detektiv. Privat.
Bürokrat: Ah richtig. Der letzte. Außer Ihnen steht keiner mehr in meinen Akten. Und was machen Sie so als Detektiv?
Jonas: Ich detektiviere.
Bürokrat: Aha. Nicht sehr erfolgreich, wie es aussieht. Im laufenden Jahr 2016 haben Sie keinen einzigen Euro verdient. Und heute ist schon der 30. Dezember.
Jonas: Es war ein schwieriges Jahr, ereignisreich. Fall Wildwest. Fall Mafia. Beide kompliziert, gefährlich sowieso. Allerdings nicht gerade einträglich. Was kann Jonas dafür, wenn man ihn kidnappt, oder wenn seine Auftraggeberin ihn umbringen will. Aber darüber wollte ich mit dem grauen Sesselfurzer nicht diskutieren. Ich wollte ihn den Kopf voran in seinen grauen Papierkopf stopfen. Das verkniff ich mir. Ich tat nichts, ich sagte nichts.
Bürokrat: Unter diesen Umständen, Herr Jonas, ist es mir nicht möglich, Ihre Lizenz zu erneuern, das heißt, Sie verlieren Ihren Sozialstatus, der war bisher, lassen Sie mal sehen, war unterer Mittelstand, Volksrente plus Eigeneinkommen zwischen 5 und 10000 Euro. Sie steigen ab ins Prekariat, nur Volksrente, und das heißt, Sie werden demnächst Babylon verlassen und in die Prekariats-Heimstatt Nummer Eins umgesiedelt.
Jonas: Kurz PH 1, draußen in der Wildnis. Ein paar hundert Kilometer südlich von Babylon. Volkstümlich Prollhalde, oder Donut. Wegen der Form. Ein riesiger Ring um einen Innenhof, 300 Stockwerke hoch, in jedem Stock 3000 Bewohner. Macht nach Adam Riese 900.000. Das reichte natürlich nicht. PH 2 und 3 waren schon im Bau. In Babylon gab es immer mehr. Prekariatsangehörige. Prolls. Volksrentner. Ohne Arbeit. Ohne Zusatzeinkommen. Die anderen fühlen sich gestört. Der obere Mittelstand. Die Reichen und Superreichen. Babylon ging das Problem offensiv an. Seit einem Jahr wurde die Stadt gesäubert. Unter dem Motto: Macht Babylon sicherer, sauberer, schöner. Prolls mußten raus. In die Wildnis. In die neuen Prollhalden. Da waren sie unter sich und störten nicht mehr. So weit so schlecht. Jonas wollte in Babylon bleiben.
Bürokrat: Das können Sie, Herr Jonas, dazu müssen Sie allerdings noch in diesem Jahr ein gewisses Einkommen erzielen.
Jonas: Ich soll in zwei Tagen ein lukrativen Fall an Land ziehen. Wie stellen Sie sich das vor?
Bürokrat: Das ist doch nicht meine Aufgabe, Herr Jonas. Auf Wiedersehen.
Jonas: Jonas hatte den Kopf voll und ganz andere Sorgen. Trotzdem fiel mir die Frau auf, die am Fuß der Treppe stand. Sie war nicht grau, sie war bunt: rote Haare, rote Schuhe, gelber Businessanzug, grünes Hemd. Sie sah gut aus. Außerdem sah sie mich an und hielt mich am Ärmel fest.
Carmen: Sie haben ein Problem, Herr Jonas.
Jonas: Eins?
Carmen: Ich glaube, ich kann Ihnen helfen. Prekariatsoberrätin Sakalauskas.
Jonas: So sehen Sie nicht aus.
Carmen: Ich möchte Ihnen ein Vorschlag machen. Kommen Sie mit.
Jonas: Sie führte mich nicht in ihr Büro. Sie führte mich zu einem der alten Beichtstühle an der Wand. Holzimitat, verblaßt und verzogen, innen hing noch immer ein Hauch von Weihrauch und Sündenschweiß. Jonas war nicht nach beichten, obwohl er ausgesprochen sündige Gedanken hatte, als die attraktive Beichtmutter ihm im engen Kabuff sehr nahe kam.
Carmen: Hier sind wir ungestört. Hören Sie zu. Wie ich von meinem Kollegen im Turm erfahre, brauchen Sie einen Fall? Und wir brauchen einen Detektiv.
Jonas: Wir?
Carmen: Die Prekariatsverwaltung. Wir haben ein Problem mit PH 1.
Jonas: Ach was. Sie auch?
Carmen: Der Leiter der Heimstatt, mein Kollege Prekariatsrat Arnold ist anscheinend verschwunden. Vor drei Tagen war die elektronische Verbindung von PH 1 zu uns unterbrochen: Video, Fon, Email, nichts ging mehr. Und als etwa 4 Stunden später die Verbindung stand, sahen wir auf unseren Monitoren nur Flure und leere Wohnkapseln. Kein Zentralbüro. Kein Arnold. Unsere Anrufe nimmt keiner an, unsere Emails werden nicht beantwortet. Wir sind besorgt. Irgendwas geht in PH 1 vor. Und wir wissen nicht was.
Jonas: Warum wenden Sie sich nicht an die Sicherheitsverwaltung?
Carmen: Zwecklos. Außerhalb der Stadtgrenzen hat die babylonische Polizei keinerlei Befugnis. Die Wildnis gehört zum Aufgabenbereich der Grenztruppe, aber die hat in letzter Zeit so viel um die Ohren, nach dem letzten großen Mauerdurchbruch am Weihnachtstag müssen die Grenzer noch immer illegale Drittweltler jagen. Außerdem wären sie für unser Problem wohl kaum geeignet. Das ist eine andere Sache.
Jonas: Wie wär's mit dem Geheimdienst?
Carmen: An den haben wir uns natürlich gewendet, aber da kriegten wir eine glatte Abfuhr. Prolls gehen uns nichts an, wurde uns gesagt. Da müßt ihr euch schon selbst drum kümmern. Und weil wir in der Prekariatsverwaltung keine Exekutivabteilung
Jonas: Schicken Sie Jonas. Den letzten Detektiv. Sie wissen, was ich koste. 200 Euro pro Tag und Spesen.
Carmen: Unmöglich, Herr Jonas, die Prekariatsverwaltung hat kein Geld, und auch kein Konto für Sonderausgaben. Passen Sie auf: Spesen brauchen Sie nicht. Der Transport ist frei. Sie werden in PH 1 untergebracht und verköstigt. Und als Honorar kriegen Sie Bonuspunkte.
Jonas: Was heißt das?
Carmen: Wenn Sie den Auftrag für uns übernehmen und erfolgreich durchführen, werde ich meinem Kollegen im Amt für freie Berufe Anweisung geben, Ihnen eine Lizenz für 2017 auszustellen, im Zuge der Amtshilfe. Einverstanden?
Jonas: Einverstanden, sagte ich. Nicht mit Begeisterung, aber was blieb mir übrig. Besser eine Stippvisite in PH 1 mit Rückkehrgarantie als demnächst für immer dorthin.
Carmen: Herr Jonas ich freue mich.
Jonas: Nur Jonas reicht. Und wie heißen Sie? Oder muß ich weiterhin Frau Prekariatsoberrätin Sakalauskas sagen?
Carmen: Carmen.
Jonas: Das klingt doch viel hübscher als Sakalauskas, und paßt besser zu Ihnen. Also, Carmen. Wie geht's jetzt weiter.
Carmen: In der nächsten Stunde schicke ich Ihrem Computer zu, was Sie brauchen werden. Die Pläne von PH 1, Organisationsstruktur, etc. etc. Und natürlich Ihr offizielles Überstellungsdokument. Das zeigen Sie in unserem Busbahnhof vor. Sie wissen wo.
Jonas: Die frühere REUBA-Truckstation am südlichen Stadtrand. Kenn ich.
Carmen: Gut. Heute Nacht um 11 fährt der Prekariatsbus nach PH 1 ab. Seien Sie pünktlich.
Jonas: Heute noch. So eilig haben Sie's?
Carmen: Je eher Sie fahren, Jonas, desto eher sind Sie zurück. Sie werden mir persönlich Bericht erstatten. Ich freue mich darauf. Viel Glück, Jonas.
Jonas: Als ich nach Hause kam, hockte Sam auf dem Tisch und schmollte. Weil ich ihn nicht mitgenommen hatte, und weil ihm der neue Auftrag überhaupt nicht gefiel.
Sam: Scheiß Spiel euer Ehren, raus in die Wildnis zu den igitt, Prolls. Und was kommt raus? Nichts. Null Komma Garnichts. Kein müder Euro, kein blasser Cent.
Jonas: Bonuspunkte, Sammy. Damit Jonas in Babylon bleiben kann und weiter arbeiten. Hör auf zu nöseln. Hast du das Material von der Prekariatsverwaltung?
Sam: Hab ich.
Jonas: Druck das Überstellungsdokument aus, und dann hilf mir bei den Vorbereitungen. Was zieh ich an?
Sam: Na was schon, gnä Frau? Prolluniform. Jogginganzug, aus billigem Plastik, und ein hoffnungsloser Ausdruck in den Augen.
Jonas: OK, Anzug wird geordert, Ausdruck wird geübt. Was brauch ich noch?
Sam: Sam natürlich. Indem daß mein Jonas ohne den selben nichts weiter ist denn ein tönend Erz bzw. eine klingende Schelle.
Jonas: Wie dem auch sein, wie du bist, als Handgerät kann ich dich jedenfalls nicht mitnehmen.
Sam: Hm?
Jonas: Das würde bei den Prolls auffallen, geklaut würde es auch. Sammy, du wirst verkleinert.
Sam: Oh nein, nicht wieder als Zahn in meines Jonas Mund, o noway.
Jonas: Daccord, daccord, ich habe heute noch Kopfschmerzen, wenn ich dran denke, Fall Strafkolonie vor dreieinhalb Jahren, ich laß dich auf Kugelschreibergröße schrumpfen.
Sam: Ein so gigantisch Hirn in einem winzigen Stift, muß dies denn wirklich sein?
Jonas: Es muß, Sam. Was brauchen wir aus der Hausapotheke?
Sam: Ein Röhrchen Exsalt wäre dringlich zu empfehlen. Als Gegenmittel. Bekanntlich wird in PH 1 Speis und Trank so allerlei zugesetzt. Lithium zur Ruhestellung, Steril zur Erschwerung der Fortpflanzung.
Jonas: Also Exalt. Eine Waffe. Ist mein Laser aufgeladen?
Sam: Ja, warum nicht gleich ne Feldhaubitze, Herr General. Einfuhr von Feuerwaffen in PH 1 strengstens verboten, aber auch aller aller allerstrengstens.
Jonas: Ohne seinen Laser und seine alte Smith & Wesson Detective Special fühlte Jonas sich nackt. Aber ein paar Tage würde es gehen. PH 1 war kein sehr gefährliches Pflaster, nicht wie das Niemandsland oder das Reservat. Dachte ich. Und lag voll daneben. Der überfüllte Prollbus rumpelte durch die nächtliche Wildnis, über eine Piste voller Steine und Schlaglöcher. Der Innenraum war dunkel, die Passagiere hockten stumm auf den harten Bänken, sahen aus dem Fenster, starrten vor sich hin. Die meisten schliefen, auch die Kinder, die zu Beginn der Fahrt noch kreischend herumgerannt waren. Jonas machte die Augen zu. Er wußte, wie es draußen aussah: totes Land in toten Farben, vergiftet und zerstört, für immer. Jonas schlief. Früh am Morgen waren wir da. Der Bus hielt neben einer grauroten leicht abgerundeten Betonwand, die bis in die Wolken ragte. Willkommen in PH 1. Wir trotteten durch das einzige Tor in der Wand, dahinter ein breiter Gang mit vielen offenen Türen. Jonas ließ sich durch eine der Türen treiben, in einen Empfangsraum. Dem Typ hinter dem Schreibtisch zeigte er sein Überstellungsdokument.
Stadtguerillero: Alles klar, Genosse, hier sind deine Gutscheine, die kannst du in den PH-Läden im ersten Untergeschoß einlösen. Oder in den Kneipen, gleich daneben. So, und jetzt kriegst du noch deinen Wohnchip. Single?
Jonas: Soweit ich weiß.
Stadtguerillero: Kleinkapsel 295-719. Der nächste.
Jonas: Wo ist das, wie komm ich dahin?
Stadtguerillero: 295. Stock. Ganz oben.
Jonas: Soll mir recht sein. Wo ist der Fahrstuhl?
Stadtguerillero: Fahrstuhl? Kaputt.
Jonas: Dann hätt ich lieber ne Wohnkapsel weiter unten.
Stadtguerillero: Haha, und ein paar Kulis zum Hochtragen, was? Mein Gott, Genosse, du bist doch noch knackig. Treppensteigen ist gesund, und denk doch mal an die tolle Aussicht. Der nächste.
Jonas: Der Typ vom Empfang sah nicht nach öffentlichem Dienst aus, eher irgendwie militärisch. Outfit in Tarnfarben, Stirnband, Zottelbart a la Fidel, und eine gutgeölte Kalaschnikow in der Armbeuge. Ein Söldner? Ein durchgeknallter Bürokrat. Darüber dachte ich nach, als ich nach oben stieg. Ich hatte viel Zeit, gut 4 Stunden. Ein guttrainierter Treppenläufer wäre schneller gewesen. Jonas war in Form. So einigermaßen, aber kein Treppenläufer. Eine halbe Stunde kam noch drauf, ausruhen und Finden der Wohnkapsel. Mit meinem Chip öffnete ich die Metalltür, und wunderte mich. Die Kapsel war besetzt.
Mann: Hi, Kumpel, da bist du ja endlich. Hast dir mächtig Zeit gelassen. Na, besser spät als nie.
Jonas: Das ist doch Kapsel 295-719.
Mann: Aber haargenau, Kumpel. Und?
Jonas: Das ist meine Kapsel, Kumpel. Raus.
Mann: Deine Kapsel, Kumpel? Hähähä, klar ist das deine Kapsel, aber weißt du was, du brauchst keine Kapsel mehr.
Jonas: Ach ja, verschwinde, Kumpel. Aber ganz schnell.
Mann: Immer mit der Ruhe, Kumpel. Erst muß ich meinen Job erledigen.
Sam: Dann schmeiß ich dich raus.
Mann: Glaubst du, du schaffst das?
Sam: Ja haha.
Jonas: Noch so ein Durchgeknallter. Kein typischer Proll. Er trug einen Overall aus silbergrauer Ballonseide. Auf der Brust ein Logo: zweimal der Buchstabe C in schwarz. Was sollte das heißen?
Mann: Möchtest du wissen, Kumpel, was?
Sam: Alarm. Tatü Tata. Feind greift an.
Jonas: Wo Sammy?
Sam: Na wo, hinter dir, du Traumtänzer. Ein hinterlistiger Hinterlist äh Hinterhalt, dreh dich um.
Jonas: Durch den Flur kam der Zwilling des Typs in der Kapsel. Silberner Overall, CC auf der Brust, in der rechten ein Laserstrahler. Das machte mir Sorgen. Noch mehr Sorgen machte mir der Typ in der Kapsel. Weil er auch einen Laser zog. Jonas mußte was unternehmen, dringend. Ich machte einen großen Schritt in die Kapsel und zog die Tür hinter mir zu. Gleichzeitig ein schulmäßiger Thai-Kick gegen die rechte Hand des Besetzers, sein Laser flog durch die Luft, und verschwand hinter der Pritsche. Sein Besitzer tauchte ab und krabbelte. Ich nahm den Stuhl und zerlegte ihn auf seinem Kopf. Er legte sich zur Ruhe, gut so. Ich griff mir den Laser und verriegelte die Tür. Gerade noch rechtzeitig. Typ Nr. 2 war da und trat gegen die Füllung.
Sam: Hier ist unseres Bleibens nicht länger, o Gefährte meiner Jugend.
Jonas: Du hast ja so Recht, Sammy. Hier drin ist es eng, die Luft ist schlecht und der will mich killen.
Sam: Nicht lange mehr, und es wird ihm einfallen, daß er im Besitz eines Laserstrahlers ist, und dann wird er beginnen die Tür zu demolieren, will sagen, mein Meister hat nur noch ganz einige wenige, einige ganz wenige, egal, Minuten sich vom Acker zu machen.
Jonas: Wohin Sam, und wie? Durch die Wand geht's nicht raus.
Sam: Fenster.
Jonas: Nicht zu öffnen. Und die Scheibe stabil, bruchsicher.
Sam: Mit Hand, Fuß oder Stuhl ist das Glas nicht knackbar, euer Merkwürden, mit einem Laser jedoch, denn siehe, auch wir haben einen solchen.
Jonas: Gute Idee. Ich laserte ein Loch in die Scheibe, gerade groß genug für einen schlanken Jonas. Der kroch durch und wartete draußen, beide Füße auf einem schmalen Sims, linke Hand am Fensterrahmen, rechte mit dem Laser in Augenhöhe. Durch die kaputte Tür stolperte der zweite Typ. Ehe er die Lage peilen konnte, drückte ich ab. Er fiel auf seinen Zwilling und blieb liegen.
Sam: Sagen Sie mal, Herr Oberförster, ist das nicht eine wunderbare Aussicht, atemberaubend geradezu, ah, die Wildnis, eine Symphonie in rot und grau und gelb und schwarz, auch nicht das kleinste bißchen Grün stört den erhabenen Gleichklang. Unser heißgeliebtes Babypsilon als Schmuddelfleck am Nordhorizont. Rechts die Superkräne über den Baustellen von PH 2 und PH 3, ist es nicht bonfotionös, o daß unsereiner malen könnte.
Jonas: Genau was ich jetzt brauche Sam. Ich hänge draußen an PH 1 in einer Höhe von 600 Meter, mindestens, der Wind pfeift, und du sülzt mir die Ohren voll mit der schönen Aussicht, die kannst du dir sonst wo hin stecken.
Sam: Arschgeige, Banause, Dumpfbacke, Unästhet.
Jonas: Ich will hier weg, ich will rein, ich bin keine Fliege.
Sam: Bleib auf dem Sims, Chef, jetzt langsam nach rechts, ganz langsam, ganz ruhig, nicht nach unten sehen, o Gott mir wird schlecht.
Jonas: Jonas krabbelte seitwärts, immer an der Wand lang, extrem vorsichtig, die Füße rutschten zentimeterweise über den Sims, die Hände krallten sich in die Wand. Hinter den Fenstern, die ich passierte massenhaft Prolls, stumpfsinnige Glotzer, neugierige Nasenquetscher, wie im Aquarium, dann war ich da, wo ich hinwollte, am Regenrohr.
Sam: Up, up and away, oder wie die alten Römer sagten, excelsior, steig, mein Jonas, steig, steig hoch, 296. Stock, 297. 298. 299. 300.
Jonas: Und da verließen sie uns. Oder wie die alten Römer sagen: Nonplusultra. Das heißt Sense, Ende der Fahnenstange.
Jonas: Ich wollte aufs Flachdach, aber das ging nicht, es sprang zu weit vor, ein professioneller Akrobat hätte es geschafft, vielleicht. Jonas war bestenfalls Amateur. Was jetzt. Ausruhen wäre schön gewesen. Ging aber auch nicht. Der Typ im silbernen Overall war zu sich gekommen und steckte seinen unschönen Kopf aus meinem Fenster, fünf Stockwerke tiefer. Ich hielt mich mit den Pobacken fest und mit einer Hand, mit der anderen zog ich meinen Laser aus dem Gürtel, und schoß. Ich traf nicht, aber der Typ verschwand, soweit OK, richtig weiter half mir das aber auch nicht. Plötzlich baumelte was vor meinem Gesicht. Ein Seil, von oben, vom Dach.
Mira: Halt dich fest, wir ziehen dir rauf.
Sam: Halleluja. Wenn die Not am Größten, ist Gottes Hilfe am nächsten. Nicht wahr Monsignore. Schnapp dir das Seil, oder willst du hier überwintern?
Jonas: Lieber nicht. Ich griff zu, erst mit der einen, dann mit der zweiten und wurde aufs Dach gezogen, über den Vorsprung, das war schwierig, weh tat es auch, wegen der Abschürfungen, aber schließlich stand Jonas oben, und sah, wer ihn gerettet hatte: ein blonder Hüne, er hatte sich das Seil um die rechte Schulter gewickelt, den linken Arm hielt er unter einem bunten Tragetuch, das er sich um den Hals geknotet hatte, und in dem Tuch, ein Kind, ein Mädchen, nein eine junge Frau, schwarzhaarig, sie trug eine Brille und ein rotes Tanktop. Mehr brauchte sie nicht, sie hatte weder Arme noch Beine. Ein Torso.
Mira: Willkommen auf dem Dach, Fremder.
Jonas: Danke.
Mira: Gut, daß wir dich gesehen haben. Ist es hier oben nicht schön, so ruhig. Die anderen kommen nicht rauf, weil sie Angst vor Hautkrebs haben. Wir haben vor nichts Angst, weil wir schon alles mitgemacht haben. Ich bin Mira, Miss Landmine Kosovo 2015, mein Freund und Helfer heißt Rußlan, Mister HIV russische Föderation 2014. Aber inzwischen geht's ihm viel besser, nicht Rußlan?
Jonas: Ein seltsames Paar, aber nicht unsympathisch. Schon weil sie Jonas hochgezogen hatten. Sie redete, er schwieg, und überließ ihr alles, offenbar auch das Denken. Wie war Jonas an die Außenwand unterm Dach geraten? Wollte Mira wissen. Zwei Killer sind hinter mir her, sagte ich, in silbernen Overalls mit einem schwarzen Doppel-C auf der Brust.
Mira: Killer? Bei uns in PH 1. Unerhört, dagegen muß was unternommen werden. Rußlan, wir fahren gleich runter ins Zentralbüro und melden die Sache. Du kommst mit, Fremder.
Jonas: Jonas, so heiße ich. Nur Jonas. Sag mal, Mira, ist das Zentralbüro nicht ganz unten, im Erdgeschoß?
Mira: Genau. Zum Fahrstuhl, Rußlan.
Jonas: Der ist doch kaputt.
Mira: Ach was, das erzählen sie den Neuankömmlingen. Die Fahrstühle sind nicht für jeden, nur für besondere Bewohner. Wir haben ein Chip, Rußlan und ich.
Jonas: Da kommt einer der Killer!
Jonas: Er war aus einer Tür aufgetaucht, etwa 100 m entfernt, ein alter Bekannter, silbergrau und schwarz, ich hob den Laser, aber ehe ich abdrücken konnte, schlug Rußlan mir den Arm hoch.
Mira: Nicht gleich schießen, Jonas, wir machen das hier anders. Bring mich zu ihm rüber, Rußlan. Jonas, du wartest hier.
Jona: Jonas sah aus der Ferne zu, wie Mira mit dem Silberoverall redete. Der hörte zu, zuckte die Achseln, drehte sich um und verschwand durch die Tür. Sehr merkwürdig. Ansonsten lief es gut, für Jonas und seinen Auftrag. Wir waren im Fahrstuhl unterwegs zum Zentralbüro. Wo der PH-Chef residierte. Prekariatsrat Arnold. Oder doch nicht?
Mira: Arnold gibt's nicht mehr, Jonas, wir haben ihn vor vier Tagen abgeschafft.
Jonas: Abgeschafft. Was heißt das?
Mira: Revolution, heißt das, Genosse Jonas, Aufstand der Unterdrückten und Entrechteten. Es lebe die Revolution. Es lebe die Stadtguerilla.
Jonas: Sieh an, die Stadtguerilla steckt also dahinter.
Mira: Jawohl, wir haben die Führung der ausgebeuteten Massen übernommen. Unsere Erfahrung eingebracht, unseren revolutionären Elan. Weißt du, Jonas, du hast ja keine Ahnung, wie es in PH 1 zuging. Arnold hat regiert wie ein König. Wie ein Diktator. Mit seinen Guerillas hat er alle terrorisiert, von jedem Gutschein nahm er Prozente, jedes Privileg, Urlaubsscheine für Babylon, Fahrstuhlbenutzung ließ er sich bezahlen. Keine hübsche Frau war vor ihm sicher. Wer nicht tat, was Arnold wollte, dem ging's schlecht.
Jonas: Und Arnolds vorgesetzte Dienststelle? Die Prekariatsverwaltung in Babylon.
Mira: Hatte keine Ahnung, oder interessierte sich nicht für das, was in PH 1 los war. Wie auch immer, jetzt hat die Stadtguerilla die Macht übernommen. Seit Monaten haben wir unsere Leute eingeschleust. Wir haben Schlüsselpositionen besetzt.
Jonas: Der Typ am Empfang, mit der Kalaschnikow.
Mira: Einer von uns. Eine neue Zeit bricht an für PH 1, Genosse Jonas, eine bessere Zeit.
Jonas: Schön wär's. Was ist mit Arnold passiert?
Mira: Revolutionäre Gerechtigkeit. Es war nicht leicht, ihn in unsere Gewalt zu bekommen, er war umgeben von Leibwächtern, und in der Monitorwand im Zentralbüro konnte er praktisch in jeden Winkel von PH 1 kucken. Aber er machte den Fehler, sich eine von uns ins Bett zu holen, und da kriegte er eine andere Art Nahkampf, als er sich vorgestellt hatte, wir haben ihn und seine Leute vor ein revolutionäres Tribunal gestellt und abgeurteilt. Sie wurden aufs Dach gebracht, und mußten durch ein Spalier wütender Prolls Spießrutenlaufen. Alle wollten mal zuschlagen oder zustechen. Hast du oben nicht die Blutlachen gesehen? Ja und dann haben wir sie vom Dach geworfen. 300 Etagen. Bis er unten ankommt, hat der Mensch viel Zeit in sich zu gehen.
Jonas: Das Zentralbüro von PH 1 war so groß wie ein Fußballfeld. Hallenfußball. Kein Fenster, eine Längswand bestand nur aus Monitoren, davor ein Stadtguerillero am Schaltpult, schräg im Raum ein riesiger Schreibtisch. Sah aus wie Echtholz, und im Sessel dahinter eine Frau, die ich kannte.
Jonas: Karla?
Karla: Jonas, so sieht man sich wieder.
Jonas: Du bist also immer noch Chefin der Stadtguerilla.
Karla: Generalsekretärin des Politbüros, ja.
Jonas: Ich dachte, du hättest dich in Südamerika zur Ruhe gesetzt, mit der Tasche voller Diamanten, die du mir auf dem Traumschiff geklaut hast in der Karibik, vor über einen Jahr.
Karla: Ja, die Diamanten, 100 Millionen Euro, alle ausgegeben für die Weltrevolution.
Jonas: Hast du noch immer nicht genug vom Revolutionsgeschäft, Karla?
Karla: Das ist kein Geschäft, Jonas, das ist eine Aufgabe, eine Lebensaufgabe.
Jonas: Wenn du meinst.
Karla: PH 1 ist nur eine Zwischenstation. Morgen ist Babylon dran.
Jonas: Und dann die ganze Welt.
Karla: Du warst schon immer ein Skeptiker, Jonas, einer der am Rand steht und Witze macht. Wir haben was vor, sehr bald, ein ganz großes Ding, und dann wird man sehen, die Stadtguerilla lebt noch und wie.
Mira: Es lebe die Revolution.
Sam: So eine Scheiße.
Karla: Mira, ist meine beste Helferin, ein tolles Organisationstalent und clever. Kommen wir zu dir, Jonas, was suchst du in PH 1, ha, wer schickt dich?
Jonas: Niemand, sagte Jonas, ich wohne hier, Babylon hat mich rausgeschmissen, als Proll, reiner Volksrentner, ohne zusätzliches Einkommen.
Karla: Hahaha, armes Schwein. Bringt dein Detektivgeschäft nichts mehr ein?
Jonas: Nicht genug.
Karla: Du bist zu anständig, Jonas, das war schon immer dein Fehler. Hmh, was sollen wir jetzt mit dir machen. Mira und Rußlan, durchsucht ihn.
Mira: Ein Laser, Gutscheine, Chip für Wohnkapsel, billiger Kugelschreiber, Kleinpackung Exsalt, ein paar Centmünzen.
Karla: Kein Kleincomputer?
Mira: Nein.
Karla: Was hast du mit Sam gemacht, Jonas?
Jonas: Verschrottet. Er wurde immer unzuverlässiger, machte nur noch Fehler.
Karla: Er ruhe in Frieden. Irgendwie mochte ich die kleine Nervensäge.
Sam: Siehste.
Mira: Wir sollten Jonas liquidieren, Karla.
Jonas: Charmant.
Karla: Ich weiß nicht.
Mira: Eine Vorsichtsmaßnahme, damit er unser Projekt nicht stört.
Karla: Nein, wir werden dich einsperren Jonas, nur ein paar Stunden, bis unser Ding gelaufen ist.
Jonas: Die Gefängniszellen lagen ganz unten, im 3. Untergeschoß, neben den Versorgungsanlagen, den Generatoren, der Abwasseraufbereitung, der Ventilation usw. Das Loch, in das sie Jonas steckten, war winzig, meine Wohnkapsel war dagegen eine Villa. Ein Eimer, eine harte Pritsche für einen Zwerg. Das war's. Ich hatte nicht vor zu bleiben, nicht mal ein paar Stunden. Es wurde Zeit, den Kugelschreiber ins Spiel zu bringen. Der war sauer.
Sam: Unzuverlässig hat er gesagt, mein einer und einziger Jonas. O welche Schmach.
Jonas: Mein Gott Sam, ich hab gelogen, damit Karla nicht nach dir suchen läßt. Los, an die Arbeit, was läuft hier?
Sam: Unzureichende Daten Hochwürden.
Jonas: Was für ein Ding haben Karla und die Stadtguerilla vor?
Sam: Unzureichende Daten.
Jonas: Dann müssen wir sie uns besorgen, die Daten, das heißt wir brechen aus. Frage wie. Fenster gibt's nicht, Tür geht nicht, kein Laser mehr. Aha. Oben an der Decke, ein Gitter. Was ist das Sam? Du hast doch den Bauplan von PH 1 intus? Was ist das für ein Gitter?
Sam: Belüftungssystem, euer Heiligkeit.
Jonas: Na bitte. Jonas stieg auf den umgedrehten Eimer, drehte zwei Schrauben raus, mit einer 10-Centmünze, nahm das Gitter ab. Schlangenmensch Jonas paßte gerade so durch. Dann schlängelte ich mich durch einen Querstollen, bis zu einem vertikalen Schacht, den turnte ich hoch, ins 2. Untergeschoß, wo ich Stimmen hörte. Jonas ist Detektiv, das heißt neugierig, von Berufs wegen. Ich robbte in die Richtung und landete über einem großen Schlafsaal. Viele Feldbetten, belegt mit dunkelhäutigen Frauen und Männern, alle apathisch, offenbar chemisch ruhig gestellt. Sie starrten stumpf vor sich hin, wie Zombies. An der Tür stand Karla. Sie sprach mit einem Mann, hochgewachsen, bärtig, dunkelhäutig, aber nicht apathisch.
Karla: Sag ihnen, sie sollen sich bereit machen, in einer Stunden werden sie abgeholt und zum Bus gebracht. Hier sind die Urlaubsscheine. Damit kommen sie ganz offiziell nach Babylon. Am Busbahnhof wird die Stadtguerilla sie übernehmen und auf die festgelegten Ziele verteilen. Alles klar?
Jonas: Karla ging. Zwei Stadtguerillas warteten vor der Tür und begleiteten sie durch den Flur. Jonas folgte, oben, im Belüftungsstollen, ein paar Meter zurück, und daher sah er sie vor Karla und ihren Leuten, zwei Typen in silbergrauen Overalls, Doppel-C auf der Brust, Sie tauchten plötzlich aus einem Seitengang auf und erschossen Karlas Leibwächter. Dann nahmen sie Karla ins Visier. Das konnte Jonas nicht zulassen. Durch das Gitter unter sich brüllte er:
Jonas: Hände hoch!
Jonas: Die Typen zuckten zusammen, drehten sich um, eine Sekunde, genug für Karla. Ihr Laser zischte zweimal, die Typen fielen um und blieben liegen. Jonas hatte indessen seine 10 Cent aktiviert und das Gitter abgeschraubt, dann ließ er sich in den Flur fallen.
Karla: Jonas, wie kommst du hierher?
Jonas: Ach weißt du Karla, in kleinen Löchern krieg ich Platzangst. Danke.
Karla: Danke?
Jonas: Danke Jonas, du hast mir das Leben gerettet. Hättest du sagen sollen. Was sind das für Kerle, die Silbergrauen?
Karla: Keine Ahnung.
Jonas: Jedenfalls wollten sie dich umbringen Karla, und mich vorhin auch schon mal.
Karla: So, ich hab jetzt keine Zeit mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Jonas: Klar, dein großes Projekt. Du willst Selbstmordattentäter nach Babylon einschleusen.
Karla: Woher... Ach natürlich, du hast sie gesehen. Im Schlafsaal. Jawohl Jonas, wir bringen sie nach Babylon, ins Zentrum der Unterdrückung und der Ausbeutung. Wir von der Stadtguerilla haben viele Jahre dagegen gekämpft, ohne Erfolg, aber jetzt haben wir uns mit der orientalischen Befreiungsfront zusammengetan, gemeinsam werden wir Babylon einen nachhaltigen Schlag versetzen. Nach dem letzten Mauerdurchbruch sind sie aus der Drittwelt zu uns gekommen, 100 wandelnde Bomben, 100 Fanatiker voll bis zur Halskrause, Semtex. Überall, wo es möglich ist, im Magen und Darm, unter der Haut, den Muskeln, in Fettgewebe ist Sprengstoff eingelagert, heute abend werden wir sie in Babylon verteilen.
Jonas: Die Stadtguerilla hatte eine lange Liste. Das Rathaus sollte hochgehen, die Sicherheitsverwaltung, Superkran Atlas, das Chips-Hochhaus und das Moxcenter, der Turm zu Babel natürlich, und sogar das Kulturministerium am van-Dusen-Platz.
Karla: Unter anderem. Heute um Mitternacht, pünktlich zum Jahreswechsel drückt jemand von uns in unserem geheimen babylonischen Hauptquartier auf den roten Knopf. Guten Rutsch, Babylon. Prosit Neujahr 2017.
Jonas: Jonas fand das alles gar nicht gut. Das wußte Karla. Sie hielt mir ihren Laser vor die Nase und nahm mich mit ins Zentralbüro. Wo Mira und Rußlan warteten.
Karla: Mira, wir haben ein Problem. Jonas weiß Bescheid. Auch wenn er hier und da mit uns sympathisiert, im Grunde ist er ein inkonsequenter Kleinbürger und wird versuchen uns zu hindern, aus der Zelle bist du ausgebrochen, daher wirst du jetzt unter strenge persönliche Bewachung gestellt. Mira und Rußlan, ihr bringt ihn nach nebenan und paßt auf ihn auf. Um Mitternacht laßt ihr ihn frei.
Jonas: Nebenan, das war ein kleiner Raum mit einem Sofa, einem Tisch und diversen Sesseln, eine Art Konferenzzimmer, Rußlan fesselte Jonas, sehr professionell, Arme nach hinten, Ober- und Unterschenkel zusammen, schlecht für die Durchblutung, aber handlich. Rußland legte mich auf dem Sofa ab, setzte sich mit Mira in einen Sessel, zog seinen Laser und paßte auf. Die Zeit verging, Rußlan und Mira wirkten müde, manchmal machten sie sogar die Augen zu, warum auch nicht, Jonas konnte nicht weglaufen. Jonas konnte überhaupt nichts tun. Aber da war ja noch Sam, der Kugelschreiber in meiner Brusttasche, der tat was. Er ging auf Wanderschaft.
Sam: Hey.
Jonas: Sammy. Was ist?
Sam: Komm näher, laß den Kopf hängen, was glaubst du was Sam entdeckt hat.
Jonas: Entdeckt. Wo?
Sam: In Miras Computer. Rußlan trägt ihn in seiner Hosentasche spazieren.
Jonas: Und?
Sam: Minderwertiges Modell, praktisch Analphabet der Kollege, falls man ihn so nennen kann. Der letzte Husten, der, nicht du, dennoch und trotzalledem ist Sammy mal reingewandert, was tut ein kleiner wackerer Computer nicht alles für seinen inniggeliebten Herrn, und was hab ich gefunden an jenem finsteren Ort?
Jonas: Sag's schon, Sammy, komm zu Potte.
Sam: Erstens eine umfangreiche Geheimdatei betitelt CC.
Jonas: Ach was. Kannst du sie knacken?
Sam: Sam knackt alles, das weißt du doch. Dürfte jedoch etliche Stündchen dauern.
Jonas: Zu viel. Und zweitens?
Sam: Zweitens. Ein höchst präziser Plan von PH 1, ganz wie der in Sam abgespeicherte, mit einem entscheidenden Unterschied. Genau mit 100 entscheidenden Unterschieden. Denn dies, o Scheich ist die Anzahl der roten Kreuze, welche überall im Plan angebracht sind. Ein Demolutionsexperte, und ist Sam nicht ein Experte, erkennt sofort, Sprengladungen, angebracht an den kreuzweise markierten Punkten, würden ganz PH 1 zum Einsturz bringen.
Jonas: Was sollte das nun wieder bedeuten. Jonas hatte so eine Ahnung. 100 Kreuze, 100 Attentäter. Ich gab Sam einen Auftrag, er sollte den Hauscomputer kontakten und die Intercomleitung zwischen Zentralbüro und Konferenzraum aktivieren. So konnte Karla hören, was hier gesprochen wurde. Hoffentlich war sie an ihrem Schreibtisch, das wäre gut für sie, für Jonas, und für 900.000 Prolls in PH 1. Alles weitere hing von Jonas ab. Er mußte Mira die Würmer aus der Nase ziehen. Das ging besser als erwartet. Jonas fiel vom Sofa. Mira wachte auf.
Mira: Oh, runtergefallen. Selber schuld. Jetzt kannst du da liegen bleiben.
Jonas: Mir ist langweilig.
Mira: Na und. Und auch.
Jonas: Spielen wir ein Spiel, Spielen wir fragen und antworten, ich fang an. Meine erste Frage lautet: Wer oder was ist CC? Keine Antwort, auch gut. Nächste Frage, warum wollt ihr beiden Karlas wandelnde Bomben dazu benutzen, PH 1 in die Luft zu sprengen.
Mira: Ich weiß nicht, wie du das rausgekriegt hast, Jonas, aber das spielt eigentlich keine Rolle. Du bist eine Leiche auf Urlaub. Sobald Karla ausgeschaltet ist, bist du dran. Warum sollte ich dir also nicht deine Fragen beantworten. CC steht für Club Caligari, so benannt zu Ehren der seligen Frau Prof. Caligari, du kanntest sie, Jonas, du hast ihre Pläne vereitelt und sie schließlich umgebracht.
Jonas: Das war schon mehr als 6 Jahre zurück. Fall Testmarkt, Fall Schlachthaus, Fall Kidnapper. Caligari hatte sich auf ein Thema konzentriert, die Reduzierung der Überbevölkerung durch Reduzierung der Bevölkerung.
Mira: Mit zugegeben noch recht kruden Methoden. Wir vom Club Caligari haben sie erheblich verfeinert.
Jonas: Wer ist Mitglied in diesem Club? Du nehm ich an. Rußlan.
Mira: Wir sind stolz darauf, obwohl wir nur Rädchen im Getriebe sind. Club Caligari ist eine extrem geheime Organisation, der die Spitzen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in Babylon angehören. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, das Prekariat zu beseitigen, eine viel zu große Schicht nutzloser Fresser, die nur öffentliche Gelder verschlingen und nichts zum Sozialprodukt beitragen. Der CC erfuhr von Karlas Projekt Prosit Neujahr Babylon, der Geheimdienst, der die Stadtguerilla seit langem beobachtet, hat uns informiert. Tja, hier bot sich uns eine geradezu geniale Gelegenheit, Prolls in großer Menge zu eliminieren, und die Urheberschaft der Stadtguerilla und orientalischen Fanatikern in die Schuhe zu schieben.
Jonas: Genial.
Mira: Nicht wahr. Meine Wenigkeit hat den Plan ausgearbeitet. Ich habe Karla vorgeschlagen, die lebenden Bomben in PH 1 zu lagern, demnächst, das glaubt die gute Karla, wird ein Bus sie nach Babylon bringen, doch in Wahrheit wird dies geschehen: Unsere Leute, die wir hier versammelt und in Untergeschoß versteckt haben, in Lagerräumen, die nicht videoüberwacht sind, werden Karla und die Stadtguerillas töten und dann die Selbstmordattentäter im Gebäude verteilen, und wenn um Mitternacht ein ahnungsloser Typ in Babylon auf den Knopf drückt.
Jonas: Bumm. Aber nicht für Babylon, für PH 1. Genial.
Mira: Ach, du wiederholst dich, Jonas.
Jonas: Die Typen in Silbergrau, eure Leute?
Mira: Exakt. Wir haben, wir haben vom Geheimdienst erfahren, daß, daß die Prekariatsverwaltung dich angeheuert hat, Jonas, und und da haben wir gleich zwei Killer auf dich angesetzt.
Jonas: Dann verstehe ich nicht, wieso du mich gerettet hast, Mira. Vorhin auf dem Dach. Auf dem Dach.
Mira: Eine Laune. Wollte sehen, was du für einer bist. Wußte ja nicht, wußte ja, wußte ja, wir würden dich kriegen, jederzeit, wann immer wir es wollen. Was... was.
Jonas: Keine Ahnung. Mira konnte nicht mehr reden, Jonas auch nicht. Und obwohl ich mich bemühte, die Augen offen zu halten, sah ich nichts, nur Schatten, die immer dunkler wurden, immer größer, ich verlor das Bewußtsein. Ich wachte auf, mit einem Brummschädel, aber ich konnte mich bewegen, die Fesseln lagen zerschnitten auf dem Boden, Mira und Rußlan waren nicht mehr da, ich hinkte rüber ins Zentrallabor, Karla und ihre Leute, alle weg. Ich sah auf die Monitorwand, die orientalischen Attentäter waren auch verschwunden, die silbergrauen CC-Typen waren noch da, allerdings mausetot. Das sah ich nicht auf einem Monitor, das sagte mir Sam, der war auch noch da.
Sam: Ein Tusch, Herr Kapellmeister. Trara. Ein bißchen Gas bringt Sam nicht um.
Jonas: Gas?
Sam: Ja, Giftgas, durch Karla in die Lagerräume geleitet, nachdem sie euer Gnaden Gespräch mit Miss Mira vernommen hatte. Menschen sind ja so schwach, so unzulänglich, eine Prise Giftgas, und siehe, sie waren einmal. Computer dagegen sind stark, ohne Fehl und Tüdel, äh Tadel.
Jonas: Hör auf dich in die Hühnerbrust zu werfen. Erklär mir lieber warum ich noch lebe. Karla hat doch sicher auch ins Konferenzzimmer Gas eingeleitet.
Sam: Hat sie, Herr Kammerjäger, jedoch kein tödliches Gift, vielmehr ein sanftes Betäubungsgäslein. Alldiweil besagte Dame in ihrem schwarzen terroristischen Herzen ein winziges warmes Plätzchen hat für einen gewissen Detektiv, ne pas?
Jonas: Mag sein, Karla ist also weg, mit ihren lebenden Bomben, im Bus nach Babylon. Wie spät Sam?
Sam: Mit dem Gongschlag ist es, oink, 19 Uhr 23 Minuten.
Jonas: Wir müssen hinterher Sammy, sie aufhalten. Wie? Gibt's noch einen Bus?
Sam: Mit Neffen, äh Nichten. Wir fliegen, Kommandante, gegen England, sieh auf den Monitor.
Jonas: Im kreisförmigen Innenhof landete ein Helikopter, silbergrau, schwarzes Doppel-C am Rumpf. Kein Zwei-Personen-Winzling: Ein großes Gangship, bestückt mit Raketen und zwei schweren MGs.
Sam: Schneller geht's nicht, Genosse.
Jonas: Ich vermute, der Helikopter soll die Typen vom Club Caligari abholen, bevor hier alles in die Luft geht. Zwei Piloten, die müssen wir ausschalten.
Sam: Null Problemo. Wir gehen nach unten, da liegen genug CC-Uniformen herum, wir suchen uns einen Typ, der eine ähnlich maskuline Statur aufzuweisen hat, wie Jonas, ziehen ihn aus, nehmen seinen Laser, und dann heia Safari.
Jonas: 20 Minuten später startete der Helikopter, mit neuen Piloten, und flog in die Wildnis, immer der Piste nach, Richtung Babylon. Es war schon ziemlich dunkel, als ich ihn sah, den Bus, ein Stück voraus, ich überholte ihn, knipste den Scheinwerfer an und knallte ihm eine Rakete vor die Motorhaube. Der Bus hielt. Jonas nahm über sein Bordradio Verbindung mit Karla auf.
Karla: Jonas, wie kommst du in diesen Helikopter?
Jonas: Erzähl ich dir vielleicht ein andermal. Jetzt haben wir keine Zeit.
Karla: Was willst du?
Jonas: Dein Projekt ist gestorben, Karla, du wirst den Bus wenden und mit den lebenden Bomben in die Wildnis fahren, immer weiter, bis ich halt sage, verstanden.
Karla: Und wenn ich mich weigere, wenn ich weiter Richtung Babylon fahre.
Jonas: Dann setze ich die nächste Rakete direkt in den Bus. Und alle gehen hoch, auch du und deine Stadtguerillas. Das muß nicht sein.
Karla: Gut, wir wenden.
Jonas: Und dann fährst du nach Südosten, dem Helikopter nach, weit weg von Babylon und von PH 1.
Karla: Verstanden.
Jonas: Noch was, Karla, falls du vorhast, euren Knopfdrücker in Babylon zu erreichen, laß es, Sam war in deinem Computer und hat die Verbindung gekappt.
Jonas: Eine halbe Stunde vor Mitternacht ließ ich den Bus halten, in einem Felsental, wo er keinen großen Schaden anrichten konnte. Karla und ihre Leute durften aussteigen, die Selbstmordattentäter blieben im Bus. Der Helikopter schwebte über der Szene. 10 Meter oder so, Jonas behielt alles im Auge.
Jonas: Was ist mit Mira und Rußla?
Karla: Die Verräter? Die sind noch im Bus.
Jonas: Steigen sie nicht aus?
Karla: Können nicht, wir haben Rußla die Beine gebrochen.
Jonas: Auch gut. Und jetzt lauft. Ihr habt einen mühsamen Weg vor euch. Durch die Wildnis.
Karla: Könntest du mich nicht im Helikopter mitnehmen, Jonas?
Jonas: Könnte ich. Aber ich will nicht. Als ich das letzte Mal mit dir im Helikopter flog, mußte ich abspringen in die karibische See. Lauf du nur, eine lange Wanderung fördert die Gehirntätigkeit, und das hast du nötig.
Karla: Danke.
Jonas: Keine Ursache, beeilt euch. Es ist jetzt, Sam?
Sam: 23 Uhr und 49 Minuten.
Jonas: Du weißt ja, was demnächst hier passiert, Karla.
Sam: Hehe.
Jonas: Karla und Gefolge verschwanden zwischen den Felsen, so schnell sie konnten. Jonas stieg auf 300 m und ließ den Helikopter über dem Bus kreisen, bis 3 Minuten vor 12. Dann flog ich ab, Richtung Babylon, mit Vollgas.
Sam: 7,6,5,4,3,2,1, zoro. Happy new year Boss...
Jonas: Turmhohe Flammen hinter uns, der Sternenhimmel wurde ausgelöscht durch eine gigantische schwarze Wolke. Ich fühle mich nicht gut, 100 lebende Bomben waren in Feuer und Rauch aufgegangen, Mira und Rußla auch, aber was hätte ich anderes tun können. Außerdem hatten sie es so gewollt, und verdient sowieso. Ich war müde und kaputt. Jonas ist nicht mehr 20, auch nicht mehr 30 oder 40, in den letzten 24 Stunden hatte ich kaum geschlafen, nichts gegessen, statt dessen ein intensives Sportprogramm, Treppensteigen, kriechen durch enge Höhlen, klettern, von Fesseln und Laserstrahlern gar nicht zu reden. Ich hatte genug. Am Nachmittag war Jonas wieder zuhause. Falls man ein schäbiges Büroapartment von 22 qm Zuhause nennen kann. Und auch Sammy bezog wieder sein gewohntes Gehäuse.
Sam: Ach, das tut gut, jetzt kann ein kleiner Computer sich doch mal wieder so richtig recken und strecken. Ah, welche Wohltat.
Jonas: Raum ist in der kleinen Hütte, Sam. Ruf die Prekariatsverwaltung an.
Sam: Soll ich? Heute? Am Neujahrstag. Spinnst du total.
Jonas: Also am nächsten Tag. Jonas erstattete seiner Auftraggeberin Bericht. Persönlich. Wie besprochen. Diesmal nicht im engen Beichtstuhl, in ihrem Büro. Und sie war auch nicht mehr Carmen, sie war Prekariatsoberrätin Sakalauskas. Was ich ihr mitteilte, schien sie wenig zu beeindrucken.
Carmen: Revolution, Stadtguerilla, Club Caligari, eine erstaunliche Geschichte. Kaum zu glauben.
Jonas: Ich habe Ihren Auftrag ausgeführt und dabei Babylon vor einem massiven Anschlag bewahrt. Und PH 1 vor der Zerstörung.
Carmen: Das sagen Sie. Haben Sie Beweise, eindeutige, stichhaltige gerichtsfeste Beweise? Also nicht. Das macht die Sache sehr, sehr schwierig. Hmh, ich werde sehen, was sich tun läßt. Sie hören von uns.
Jonas: Ich hörte, zwei Wochen später. Per Fon.
Computerstimme: Und deshalb gewähren wir Ihnen in Anerkennung geleisteter Dienste einen Aufschub bis zum 30. Juni 2017. Sie haben also ein halbes Jahr Zeit durch die Akquirierung des erforderlichen Zusatzeinkommens dafür Sorge zu tragen, daß Ihre Lizenz als privater Detektiv und damit Ihr Sozialstatus erhalten bleiben. Sollte Ihnen das nicht gelingen, Herr Jonas, verzagen Sie nicht, nicht jeder ist zu höherem berufen. Sie werden in eine Prekariats-Heimstatt umziehen. Dort erwartet Sie ein durchaus angenehmes Leben, sofern Sie keine überzogenen Ansprüche stellen. Das Amt für freie Berufe wünscht Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören.
Das war Comeback. Eine Folge der Science-Fiction-Krimiserie Jonas. Nur Jonas. Und Sam. Von Michael Koser. Nähere Informationen und die Folgen zum kostenlosen Download finden Sie unter www.Jonas-nur-Jonas-und-Sam.de. Eine Produktion der Kanzlei Dr. Bahr. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Thomas Karallus, Vanida Karun, Werner Klein, Deef Pirmasens, Angelika Thomas, Henning Venske und Elena Wilms. Ton und Technik: Marcus Giersch und Christoph Guder. Aufgenommen im Tonstudio Fährhauston in Hamburg (2008). Regie: Werner Klein.
Der letzte Detektiv von Michael Koser
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#42 Re: Der letzte Detektiv von Michael Koser
Jonas. Nur Jonas. Und Sam.
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Abgesang
Jonas: Sie war jünger als ich. Um die 40. Dunkles Haar. Dunkle Augen. Eine wohlgefällige Figur in einem dieser Outfits, die nach nichts aussehen und mehr kosten, als ein Detektiv im Monat verdient. In meinem schäbigen Büroapartment wirkte sie wie ein Kirschblütenzweig in einer alten Bierflasche.
Judith 2: Mein Name ist Judith.
Jonas: Judith?
Judith 2: Sie sehen mich an, als ob Sie mich kennen. Kenne ich Sie?
Jonas: Sie hieß Judith, und so sah sie auch aus. Was war das? Eine Halluzination?
Sam: Dejavu, Monsignore.
Jonas: Deschawas?
Sam: Ach vergiß es.
Jonas: Dabei hatte er so mies angefangen, dieser 1. Mai 2017. Der Geburtstag eines gewissen Detektivs. Ich war früh geweckt worden. Im Prinzip keine schlechte Sache, weil ich böse geträumt hatte. Ich war draußen, in PH 1, kroch durch Röhren, stand auf dem blutigen Dach, 600 m hoch, saß in einer überfüllten Kneipe, versoff meine Gutscheine. Ein Proll unter vielen. Das Leben war vorbei. Erinnerung. Oder Zukunftsvision? Gestern hatte das Amt für freie Berufe mich erinnert, daß ich nur noch zwei Monate Zeit hatte, einige tausend Euro zu verdienen, ansonsten drohte Ausweisung aus Babylon, in die Prekariats-Heimstatt. Das war kein Albtraum.
Sam: Happy birthday, lieber Jonas, happy birthday to you.
Jonas: Du mich auch, Sammy.
Sam: 50 Jahre sind es wert, daß man ihn besonders ehrt. Er lebe hoch, höher, am höchsten.
Jonas: 50. Auch das noch. Ist doch kein Alter für einen Detektiv. 30 OK, 40 geht noch. Fit und erfahren, eingedellt, Narben an Körper und Seele, oder 70 von mir aus, keine Exen mehr, dafür Kopfarbeit auf dem Sofa. Altersweise. Aber 50?
Sam: Hörst du das Fon, welch lieblicher Ton, ein Glückwunsch.
Jonas: Es war kein Glückwunsch, es war die Kündigung. Mein Viertel wurde saniert, mein Haus abgerissen. In einem Monat mußte ich raus aus meinem Büroapartment. Das Casablanca war schon seit Wochen geschlossen.
Sam: Und nun gerade: Happy Birthday!
Jonas: Halt die Backen, Sammy. Nachrichten.
Sam: Jawohl. Euer Wunsch o Herr sei mir Befehl.
Nachrichtensprecher: Im Sicherheitsrat der UN. Bekanntlich beansprucht China jedes chinesische Restaurant, wo immer es sich befindet, als Hoheitsgebiet, inklusive einer...
Jonas: Weiter.
Nachrichtensprecher: Unruhen in PH 1, die durch energisches Eingreifen der Grenztruppen beendet wurden. Die genaue Zahl der Toten und Verletzten ist nicht bekannt. Wie...
Jonas: Weiter.
Nachrichtensprecher: Hat sich trotz Bemühungen der Aktion Lebensabend die Zahl hilfsbedürftiger Senioren weiter alarmierend erhöht. Und nun zum Wetter. Babylon registriert heute den 209. Regentag in Folge. Damit sind wir vom Rekord des Jahres 2014 nur noch 20 Tage...
Jonas: Na wunderbar. Dauerregen. 50. Geburtstag. Kündigung. PH 1. Graue Gegenwart. Schwarze Zukunft. Jonas steckte voll drin, im Babylon Blues. Aber dann kam sie. Judith. Nicht meine Judith. Nicht Judith Delgado. Natürlich nicht. Judith Delgado war seit 5 Jahren tot. Aber sie hieß Judith. Und sie sah aus wie Judith Delgado. Es war doch nicht alles mies, dachte ich. Doch dann sagte sie mir, wohin sie mich schicken wollte.
Judith 2: Ins Niemandsland.
Jonas: Will ich nicht. Mach ich nicht.
Judith 2: Sie müssen, Herr Jonas. Es geht um Nicolas, meinen Mann. Nicolas Toulemonde, Vizebischof der apostolischen Kirche.
Sam: Vize was?
Judith 2: Das ist sein Beruf.
Jonas: Halt den Rand, Sam. Hochanständiger Job.
Judith 2: Gewiß, aber auch, wie soll ich mich ausdrücken, vorhersehbar. Langweilig. Und darum unternimmt Nicolas zum Ausgleich Abenteuerreisen.
Jonas: Ins Niemandsland.
Judith 2: Vor einer Woche ist er aufgebrochen.
Jonas: Ohne Sie?
Judith 2: Er fährt immer allein. Ich mache mir nichts aus Strapazen, aus Hunger und Durst und Blasen an den Füßen.
Jonas: Sehr vernünftig. Ihr Mann ist also ins Niemandsland aufgebrochen, wann genau.
Judith 2: Am 24. April. Morgens. Am Abend hat er sich kurz gemeldet über Satellitenfon. Gut angekommen, alles in Ordnung.
Jonas: Angekommen, wo?
Judith 2: In Besalam. Zwischen Wildnis und Niemandsland, wo die Abenteuerkarawanen starten.
Jonas: So. Und dann?
Judith 2: Nichts mehr. Kein Anruf, keine Nachricht. Bis gestern.
Jonas: Haben Sie nicht versucht, ihn anzurufen.
Judith 2: Ja natürlich, immer wieder hab ich's versucht, aber ich hab nicht mal seine Mailbox erreicht. Ja, und dann kam gestern nachmittag dieser Anruf.
Jonas: Von ihrem Mann.
Judith 2: Von seinem Fon. Aber es war nicht Nicolas. Ein Fremder. Mit Drittweltakzent. Er gehört zu den Freiheitskämpfern des Orients. Hat er gesagt.
Jonas: Freiheitskämpfer des Orients. Nie gehört.
Judith 2: Ich habe das Gespräch selbstverständlich aufgenommen.
Kidnapper: Wir Freiheitskämpfer haben gefangen Bischof Toulemonde, wenn wir nicht bekommen drei Millionen Euro in Diamanten als Spende für Freiheitskampf wir werden töten Bischof Toulemonde.
Judith 2: Drei Millionen. Wann und wie soll ich...
Kidnapper: Planquadrat SW 170-2. Dort in Wüste großer roter Felsen, sieht aus wie Kamel. An diese Felsen wir warten Spende bis 4. Mai abend. Wenn Sonne untergeht und Diamante nicht da, wir werden zerschneiden Bischof und verteilen in Wüste. Verstanden.
Judith 2: Ja, aber...
Judith 2: Aufgelegt. Ich war geschockt, das werden sie verstehen, Herr Jonas.
Jonas: Sehr erschüttert schien sie allerdings nicht zu sein. Aber vielleicht war das Charakterstärke und Beherrschung. Alle Judiths sind starke Frauen.
Judith 2: Als ich mich ein bißchen beruhigt hatte, rief ich die Firma an, die Nicolas Reise organisiert hat.
Jonas: Name?
Judith 2: Extrem. Der ultimative Kick.
Jonas: Adresse?
Judith 2: Markgrafenboulevard 727.
Jonas: Was haben Sie erfahren.
Judith 2: Nichts. Der zuständige Sachbearbeiter hatte keine Ahnung. Er wollte sich schlau machen und mich dann zurückrufen.
Jonas: Hat er?
Judith 2: Bis jetzt nicht. Dann dachte ich an die Polizei.
Sam: Ha, die Bullen? Kannst du vergessen, Schwester.
Judith 2: Was ist das?
Jonas: Mein Computer. Sam. Redet viel, weiß dummes Zeug.
Sam: Nanana.
Jonas: Aber ab und zu hat er recht. Draußen im Niemandsland ist die babylonische Polizei machtlos.
Judith 2: Das hat mir Chefinspektor Brock auch gesagt.
Jonas: Sieh an, wir kennen Brock, was Sammy?
Sam: Ja, gewiß doch euer Gnaden. Hat der gute Chefinspektor nicht des öfteren in unseren Fällen figuriert, hmh?
Judith 2: Brock hat mir geraten, mich an Sie zu wenden, Herr Jonas, Sie könnten das Lösegeld überbringen, sie kennen das Niemandsland, hat er gesagt, sie waren schon mehrmals da.
Jonas: Dreimal. Und ich habe keine schönen Erinnerungen an die Trips. Beim letzten Mal war's am schlimmsten.
Sam: Fall Invasion, o Grödaz.
Jonas: Grödaz?
Sam: Ja, Grödaz. Größter Detektiv aller Zeiten. Dummie. Juni 2015.
Jonas: Das reicht mir. Noch mal muß ich da nicht hin.
Judith 2: O doch Sie müssen, Herr Jonas, weil ich Sie darum bitte. Außerdem zahle ich. 5 Prozent vom Lösegeld.
Sam: Fünf Prozent... sind 15.000 Euro.
Jonas: 150.000 du Dödel.
Sam: Siehst du, ein erkleckliches Sümmchen, Herr Rechnungsrat. Statuserhaltend gewissermaßen. Umzugsverhindernd.
Judith 2: Was meint er?
Jonas: Ah, nicht so wichtig.
Sam: Importane.
Judith 2: Brock hat noch mehr gesagt, Herr Jonas. Sie sind ein anständiger Mensch, und für den Job ist keiner so geeignet wie sie.
Sam: Ja das stimmt, ja ja ja.
Jonas: Mußte Jonas wirklich nochmals ins Niemandsland. Nur weil seine Auftraggeberin Judith hieß und aussah wie Judith Delgado, die erste und einzige Liebe eines älteren Detektivs. Vielleicht.
Jonas: Ich werde darüber nachdenken und sie anrufen, heute noch, nachdem wir ein paar Nachforschungen angestellt haben. Sammy und ich.
Judith 2: Danke, Herr Jonas.
Sam: Ja, denn wie spricht der weise Bosequo? Vorsicht ist der weibliche Elternteil des Keramikbehälters.
Jonas: Oder so ähnlich. Judith ging, und Jonas scheuchte Sam durch alle Datenbanken, zugängliche und weniger zugängliche. Ergebnis:
Sam: Sie ist echt, unsere JuTou.
Jonas: Wer?
Sam: JuTou. Kurz und prägnant für Judith Toulemonde, oder auch Judith zwo.
Jonas: Es gibt sie also wirklich.
Sam: Ja, die Dame ist astrein, Herr Oberförster, wie auch ihr Ehegespons, Nicolas Toulemonde, Vize der apostolischen Kirche, hochangesehene Bürger Babylons beide und betucht, ja, Haus im Golden Ghetto, höchster Sozialstatus.
Jonas: Schön für sie. Es wurde Zeit für einen Ausflug zum noblen Markgrafenboulevard, wo eine ganze Etage in einem noblen Hochhaus von der Firma Extrem belegt war. Ein gertenschlanker türkisgelockter Jüngling ließ sich herab, Jonas zu empfangen. Nösel hieß er. So stand es auf dem Schild an seinem lavendelfarbenen Armanijäckchen. Er musterte mich wie ein Angler einen alten Stiefel, der sich an seinen Haken verirrt hatte.
Nösel: Sie wollen doch wohl keine Reise bei uns buchen Herr äh... In diesem Falle gestatten sie mir den gutgemeinten Hinweis, daß die dafür erforderlichen Mittel weit über ihren Möglichkeiten liegen dürften. Wenn ich sonst noch was für sie tun kann.
Jonas: Sie können.
Nösel: Ach wirklich?
Sam: Wetten, der Typ heißt mit Vornamen Schorsch, oder Scholastikus.
Nösel: Wie meinen.
Sam: Nösel äh Schnösel. Paßt wie der Pickel auf den Arsch.
Nösel: Ich muß doch sehr bitten.
Sam: Ja dann bitten sie mal.
Jonas: Entschuldigen Sie meinen Computer, Herr äh Nösel, er ist ein wenig ungehobelt, wie sein Herr. Soll ich Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin ein exzentrischer Milliardär, wenn man mich ärgert, werde ich grob, sehr grob, saugrob, und dann könnte ich Ihnen zum Beispiel äh einige Knöchlein in ihrem eleganten Leib zerschlagen. Strafe und Schadenersatz zahle ich aus der Westentasche.
Jonas: Er wußte nicht, ob er mir glauben sollte. Aber als vorsichtiger Mensch tat er es. Und war bereit meine Fragen zu beantworten. Ja, Vizebischof Toulemonde hatte bei Extrem eine Reise gebucht, in den besonders wilden südöstlichen Zipfel des Niemandslands, nicht weit von der Mauer. Nein, er wußte nicht, was mit dem Kunden geschehen war, auch der von Extrem gestellte Reiseleiter war verschwunden. Ja, er hatte von Frau Toulemonde erfahren, daß eine Gruppe namens Freiheitskämpfer des Orients behauptete, den Vizebischof entführt zu haben.
Nösel: Im Übrigen muß ich Sie, wie bereits auch Frau Toulemonde nachdrücklich darauf hinweisen, Herr äh, daß eine wie auch immer geartete Haftung der Firma Extrem für die Folgen unvorhergesehener unglücklicher Zwischenfälle auf den von uns vermittelten Abenteuerreisen laut Vertrag völlig ausgeschlossen ist. Dieser Ausschluß gilt selbstverständlich auch für etwaige Entführungen und vergleichbare Mißgeschicke.
Jonas: Freiheitskämpfer des Orients, kennen Sie diese Gruppe, ist sie bei früheren Extrem-Reisen schon mal in Erscheinung getreten?
Nösel: Noch nie, Herr äh... Wie kennen andere Organisationen, die Taliban, die Waffen-SS, die goldene Horde etc. die in der gleichen Branche tätig zu werden pflegen.
Jonas. Entführung und Erpressung von Lösegeld.
Nösel: Äh, ja. Dies zu verhindern zahlt Extrem besagten Gruppierungen gewisse Anerkennungshonorare.
Jonas: Schutzgelder meinen Sie.
Nösel: Wenn sie es so ausdrücken wollen, Herr äh.
Jonas: Und die rote Armee, ist die nicht auch im Niemandsland aktiv?
Nösel: Nicht mehr, Herr äh... Soweit uns bekannt ist, hat sich die rote Armee vor einem Jahr weit in den Norden, in die wilde Tundra zurückgezogen.
Jonas: Das war beruhigend. Denn die rote Armee, und speziell ihr Häuptling Generalissimus Stalin hatten mit Jonas noch ein Hühnchen zu rupfen. Das mußte nicht sein. Zu Hause rief ich Chefinspektor Brock an, um ihm ein paar Fragen zu stellen, aber das war nicht mehr möglich.
Frauenstimme: Chefinspektor Brock wurde ein Opfer des unermüdlichen Einsatzes der Sicherheitsbehörden für die Bürger Babylons. Bei einer Routine-Razzia heute Nacht im Reservat ist er aus dem Helikopter gestürzt und an den Folgen des Sturzes verstorben.
Jonas: Auch das noch. Meine Wohnung war gekündigt. Ich hatte kein Geld und keinen Sozialstatus, das Casablanca war zu. Dauerregen, 50. Geburtstag, und jetzt hatte Brock den Löffel abgegeben. Mein bester Feind. Mein einziger Freund. Wieder legte sich der Babylon-Blues über Jonas, so laut und so intensiv, als ob mir jemand Babylon unbedingt vermiesen wollte. Wie auch immer, Babylon war mir vermiest. Ich wollte raus, von mir aus sogar ins Niemandsland. Ich rief Judith an, und sagte ihr, ich würde ihren Auftrag annehmen.
Judith 2: Herr Jonas, ich bin hocherfreut.
Jonas: Den Herrn lassen Sie weg. Einfach Jonas, nur Jonas. Haben Sie das geforderte Lösegeld?
Judith 2: Kein Problem. 3 Millionen Euro in Diamanten liegen bereit.
Jonas: Dann bringe ich die Klunker für sie ins Niemandsland.
Judith 2: Nicht für mich, Jonas, mit mir. Ich komme mit.
Jonas: Haben Sie sich das gut überlegt, Judith, es wird gefährlich werden, strapaziös, vielleicht holen Sie sich sogar Blasen an den Füßen.
Judith 2: Ich bestehe darauf. Wann reisen wir ab?
Jonas: Sobald wie möglich, und das war sehr bald. Geld spielte keine Rolle. Noch am Abend flogen wir nach Bezalam. Von da ging's am nächsten Morgen weiter auf der Erde, aber nicht zu Fuß, wir mieteten den besten Wüstentruck, der zu haben war, Kettenfahrwerk, stabile Panzerung, großer Benzinvorrat in Zusatztanks, genügend Platz für alles, was der Mensch so braucht, wenn er vorhat, tagelang durch die Wüste zu ziehen. In diesem Fall zwei Menschen. Jonas fuhr. Judith saß neben mir, sehr schön anzusehen, in ihrem Safari-Overall von Dolce & Gabana. Gelbe und rote Wüstenfarben. Das Niemandsland war so, wie ich es in Erinnerung hatte, ziemlich tot, orange und grau, dazwischen Farbtupfer, schwarz, rot, giftgrün, Ruinen, Reste, Rost, geschmolzener Sand, Felsen. Tagsüber war es heiß, und nachts kalt, so kalt, daß Judith fror und zu mir in den Schlafsack kroch. Zweiter Reisetag, 3. Mai, wir erreichten Planquadrat SW170-2. Die Strahlen der untergehenden Sonne beschienen ein seltsames Gebilde am Horizont. Einen riesigen roten Felsen, der aussah wie ein liegendes Kamel, ein länglicher Kopf auf einem ebensolchen Hals. Dann ein großer runder Höker.
Sam: Ein Höker? In diesem Falle, hochgeschätzte Kommilitonen, handelt es sich keinesfalls um ein Kamel oder auch Trampeltier, der Wissenschaft bekannt als camelus bacterianus, vielmehr um ein Dromedar, camelius dromedarius.
Judith 2: Danke für die Vorlesung, Prof. Sam.
Sam: O gern geschehen Gnädigste.
Jonas: Ich glaube kaum, daß die sog. Freiheitskämpfer auf zoologische Finessen Wert legen. Dromedar oder Kamel, dieser Felsen ist unser Ziel.
Judith 2: Wir sind also angekommen.
Sam: Hurra!
Jonas: Noch nicht ganz, gleich wird's dunkel, wir sollten hier lagern und morgen früh weiterfahren, bei Helligkeit, damit wir sehen können, wer oder was uns erwartet.
Judith 2: Einverstanden. Halt an Jonas.
Jonas: In einer Höhle schlugen wir unser Lager auf. Nach dem Essen holte Judith eine Flasche aus ihrem Gepäck. Echt Whisky. Scotch. Old Forrester. Jonas Lieblingswhisky. Wenn er ihn kriegt, was selten genug vorkommt. Wir stießen an.
Judith 2: Auf Kamele.
Sam: Und Dromedare.
Judith 2: Auf Jonas.
Jonas: Auf Judith.
Sam: Auf Sam.
Judith 2: Auf den Erfolg unsere Mission.
Jonas: Auf den Erfolg. Der gefährlichste Teil kommt aber erst. Morgen.
Judith 2: Du hast ja so recht, Jonas, und du hast nicht die mindeste Ahnung, wie recht du hast. Trink aus.
Jonas: Ich wachte auf. Die ersten Sonnenstrahlen fielen in die Höhle. Das Feuer war ausgegangen. Mein Kopf tat weh. Mir war kalt. Kein Schlafsack. Ich kam auf die Beine, mühsam, und humpelte nach draußen. Keine Judith. Kein Wüstentruck. Kein Laserstrahler am Gürtel, und vor allem kein Sam, nicht in meiner Tasche, nicht auf dem Boden. Was war passiert? Ich sah mich um. Nur Niemandsland bis zum Horizont. Keine Bewegung. Kein Mensch. Kein Fahrzeug. Dann sah ich doch was, Kettenspuren vom Truck. Sie führten nach Osten, Richtung Kamelfelsen. Im grobkörnigen Sand gut zu erkennen. Ich ging ihnen nach. Die Spuren führten in einen Canyon. Ich folgte ihnen. Langsam. Es wurde enger. Die steilen Wänden rückten näher zusammen. Vor mir eine Kurve. Ich ging noch langsamer und spähte vorsichtig um die Ecke.
Stalin: Kiche. Jonas, galupschik, dawolowatsch, willkommen.
Jonas: Stalin.
Stalin: Bada. Generalissimus Stalin. Du überrascht, Arschloch, häh?
Jonas: Ich überrascht. Hinter der Kurve wurde der Canyon weiter. Überall Menschen, vor mir, hinter mir, über mir, zottige zerlumpte Gestalten, bewaffnet mit Keulen und Macheten. Nomaden. Hunderte, ein ganzer Stamm, Flüchtlinge aus der Drittwelt. Freaks, Mutanten, die rote Armee. So nannten sie sich. In der Menge stand unser Truck, und daneben noch ein Gefährt, eine Art gigantischer Bollerwagen, aus Holz und Metall, eine Plattform auf 6 gewaltigen Rädern. Darauf ein Blockhaus, eine Pauke mit Pauker, ein rotlackierter Thron, und auf dem Thron ein alter Bekannter.
Stalin: Du nicht gedacht Wiedersehen Generalissimus Stalin, hä? Arschloch Jonas.
Jonas: Eine unerwartete Freude, weiß Gott. Hast du dir ein neues Fahrzeug zugelegt, alter Gauner, was ist mit dem T54.
Stalin: Äh, Problem mit Tank. Immer Problem. Kein Diesel. Darum Tank verkauft.
Jonas: An wen? Wer ist denn noch blöder als ihr?
Stalin: An Stamm in Zewa, Norden. Alslutscher, Trankstinker, behandelt T54 als Gott. Nun, wir haben gebaut neue Auto.
Jonas: Ein Prachtstück. Und wie geht's selbst, Generalissimus.
Stalin: Spazibo. Wunderbar. Täubchen. Vetterchen. Hab ich doch endlich Arschloch.
Jonas: In den zwei Jahren hatte Stalin sich kaum verändert. Er sah immer noch aus wie ein sibirischer Dorfschullehrer. Schmal, weißhaarig, Drahtbrille, grüne Schirmmütze, Russenbluse, vollgesteckt mit bunten Abzeichen und Medaillen. Zerschlissene Reithose, Stiefel, und im Kopf noch klar. Er hatte nicht vergessen, daß Jonas ihn damals reingelegt hatte.
Stalin: Was wir mit dir machen, Arschloch, hä? Eingraben in Sand, alle Rotarmisten auf dich pissen, bist du tot. Dich kochen in Kessel ganz ganz langsam und dann dich essen.
Judith 2: Ihre Wiedersehensfreude, verehrter Generalissimus, sollten sie ein wenig später Ausdruck verleihen, vorher hab ich noch mit Jonas einiges zu klären.
Stalin: Karacho.
Jonas: Judith. Sie stand auf der Plattform, direkt neben Stalins Thron. Wie eine Gefangene sah sie nicht aus. Während die Nomaden Jonas griffen und festhielten, stieg sie herunter, kam näher, und stellte sich vor mich.
Judith 2: Weißt du Jonas, die Sache war ein wenig anders geplant, aber Stalin wollte nicht warten, er ist vorgeprescht, weil er dich unbedingt allein in die Finger kriegen und nicht mit andern teilen wollte. Im Grunde kein Problem, soll Stalin dich eliminieren, meinen Auftraggebern wird das auch so recht sein.
Jonas: Deinen Auftraggebern?
Judith 2: Ahnungslos wie er noch immer ist. Richtig süß. Ich werde dir eine Geschichte erzählen, Jonas, so viel Zeit muß sein. Immerhin hast du mit mir den Schlafsack geteilt, das verdient Belohnung. Also setz dich und hör zu. Es war vor mehr als einem viertel Jahr, im Januar, da trafen sich im Club Caligari zu Babylon fünf Personen, die vieles verband, hohe Position, Macht, Reichtum. Vor allem aber der Hass auf einen Detektiv, der im Lauf der Jahre immer wieder ihre Pläne durchkreuzt hatte.
Plotz: Ich bitte um Ruhe. Die konstituierende Sitzung des Sonderkomitees Aktion Jonas ist eröffnet. Anwesend sind:
Paretzky: Dr. Sandra Paretzky, Bürgermeisterin von Babylon.
Waldorf: Astoria Waldorf, Vorstandsvorsitzende der Firma Multipharm, Leiterin der babylonischen Industrie- und Handelskammer.
Frank: Generalmajor Frank, Oberkommandierender der Geheimdienste und der Sicherheitskräfte.
Kasbek: Kasbek von der Korporation.
Plotz: Als Vertreter der sogenannten Unterwelt.
Kasbek: Bitte. Der organisierten Extralegalität.
Plotz: Wie Sie wollen. Anna Platz. BIO Global. Wir alle haben schwerwiegende Gründe gegen Jonas, den sogenannten letzten Detektiv vorzugehen.
Er ist ein Störenfried.
Krebsgeschwür.
Eine Pestbeule.
Plotz: Und nicht zu vergessen ein Kostenfaktor. Schon früher haben einzelne von uns versucht, Jonas auszuschalten, ohne Erfolg, jetzt tun wir uns zusammen, das Maß ist voll, erst vor wenigen Tagen hat Jonas eine von langer Hand vorbereitete bevölkerungspolitische Aktion des Club Caligari in PH 1 verhindert, daher ist dieses Komitee zusammengetreten, dessen Vorsitz ich übernommen habe. Denn so großen Schaden Jonas Ihnen allen zugefügt haben mag, ich Anna Plotz, sitze durch seine Schuld gelähmt im Rollstuhl und habe darum das größte Recht auf Rache.
Jonas muß weg!
Plotz: Jawohl, Jonas muß weg, Jonas muß verschwinden, Jonas muß sterben. Um dieses Ziel zu erreichen, bündeln wir unsere Ressourcen, wir sind bereit, finanzielle Opfer zu bringen, in unbegrenzter Höhe. Wir werden alle psychologischen und kreativen Kräfte, die uns zur Verfügung stehen, gegen Jonas einsetzen, sie sollen Szenarien entwerfen, die zum erfolgreichen Abschluß führen.
Abschuß.
Plotz: Sehr witzig. Jonas muß verschwinden, darin sind wir uns einig. Die Frage ist wie.
Judith 2: Es wurde diskutiert und debattiert, delegiert und konsultiert, und bald begannen sich Leitlinien und Konturen abzuzeichnen.
Also keine Falle, kein maskierter Killer im Hinterhalt, keine schnelle Kugel in den Rücken?
Nein nein nein, Jonas ist ein besonderer Gegner, und verdient einen besonderen Abgang, eine große Oper, wenn Sie so wollen, kein mickriges Tralala.
Eine elaborierte Elimination ist doch viel befriedigender, viel interessanter.
Macht mehr Spaß, meinen Sie, General.
Wie dem auch sei, die äh, Elimination sollte keinesfalls in Babylon stattfinden, hier hat Jonas ein Heimspiel, er kennt sich hat, hat überall Freunde.
Wir müssen ihn weglocken, so weit weg wie möglich.
Judith 2: Also ins Niemandsland, wo es am wildesten ist, hier, ein paar Kilometer entfernt, wartet ein Sonderkommando auf dich, Jonas. Killer der Korporation, Spezialisten vom Geheimdienst, ausgesuchte Sicherheitsexperten aus Großkonzernen, dazu als Sahnehäubchen gewissermaßen der eigens für dich aus dem hohen Norden angeforderte Generalissimus Stalin mit seiner Roten Armee.
Stalin: Dada. Wir hören, wir kommen, wir fangen Arschloch Jonas, wir machen tot Arschloch Jonas.
Judith 2: Geduld, Generalissimus, bald kriegen sie ihn und können mit ihm machen, was sie wollen, meine Geschichte ist gleich zu Ende. Über das Problem, wie Jonas ins ferne Niemandsland zu locken sei, zerbrachen sich diverse Experten, Kreative, Psychologen, Motivationsforscher, die gutbezahlten Köpfe. Schließlich schlugen sie zwei sich ergänzende Szenarien vor.
Erstens: Jonas wird psychischem Druck ausgesetzt, er wird
Weichgekocht.
In eine praktisch ausweglose Situation gebracht, sein Umfeld bricht zusammen, er verliert die Wohnung, den Sozialstatus, das Stammlokal, den Freund.
Außerdem wird er 50, am 1. Mai, das dürfte ihn zusätzlich deprimieren.
Zweifellos. Zweitens. Frau Delgado, Judith Delgado, hohe Beamtin in der Sicherheitsverwaltung, 2012 verstorben, Jonas große Liebe.
Ja, die Frau seines Lebens.
Auf den Knopf müssen wir drücken.
Wir schaffen eine zweite Judith. Eine Schauspielerin, die der Delgado ähnelt. Den Rest macht Plastiface. Wir geben ihr reale und virtuelle Existenzen.
Um die Dateien kümmere ich mich.
Diese Frau wird bei Jonas auftauchen, ihm was erzählen, er wird verwirrt sein, verliebt, womöglich, auf jeden Fall weniger argwöhnisch.
Judith 2: Wie's weitergeht, weißt du. Es war eine interessante Aufgabe. Und daß sie jetzt zu Ende geht, tut mit fast ein bißchen leid. Generalissimus, Jonas steht zu Ihrer Verfügung.
Stalin: Konetschko. Wirklich. Dawei!
Jonas: Judith stieg in den Truck, und startete. Bevor sie losfuhr, lehnte sie sich aus dem Seitenfenster. In der linken Hand hielt sie was hoch: Sam.
Judith 2: Leb wohl, Jonas, in der kurzen Zeit, die dir noch vergönnt ist. Sag deinem Herrn Tschüß, Sammy. Und auf Nimmerwiedersehen.
Sam: Nein, o harsche Trennung, grausames Geschick. Jonas, was wird aus ihm werden, ohne Sam. Und was wird aus Sammy ohne seinen Jonas. Sind wir getrennt für immer...
Stalin: Dawei Dawei!
Jonas: Die Rotarmisten nahmen ihre Plätze ein, vorn an der Deichsel, an den Querstangen rechts und links. Jonas wurden die Hände gefesselt, dann band man ihm ein Seil um den Bauch, das andere Ende hielt Generalissimus Stalin höchstpersönlich fest.
Stalin: Wir haben gewartet auf dich, zwei Jahr, Arschloch, wir weiter warten, ein Tag, zwei Tag, dieser Platz nix gut. Nur Dawei. Kollegen. Dawei. Dawei! Jucha.
Jonas: Die Riesenräder begannen sich zu drehen, knarrend und quietschend setzte der Bollerwagen sich in Bewegung. Die Nomaden zogen und schoben aus Leibeskräften. Der Pauker paukte. Stalin hatte seinen Thron verlassen und sich hinten auf die Plattform gesetzt, um Jonas zuzusehen. Der bemühte sich Schrittzuhalten. Ab und zu zog Stalin kurz am Seil, dann schlug Jonas hin, und wenn er sich nicht schnell genug aufrappelte, wurde er über Sand und Steine geschleift, zum großen Vergnügen des Generalissimus. So verging der Tag.
Stalin: Halt! Stoi! Hier machen wir Lager. Ruh dich aus, Arschloch, freu dich, morgen machen wir dich tot, langsam, ganzen Tag. Wir haben Zeit, hahahaha.
Jonas: Nette Aussichten. Natürlich kriegte ich nichts zu essen. Den abgearbeiteten Rotarmisten ging's kaum besser. Stalin schlug sich den Bauch voll, und legte sich dann zur Ruhe, im Blockhaus. Auch die Nomaden schliefen. Sogar die Wächter, die auf Jonas aufpassen sollten. Jonas schlief nicht, er machte sich Sorgen, außerdem hatten sie mich auf jede Menge Steine gebettet, scharfe spitze Steine. Die Nacht verging langsam, sehr langsam, plötzlich hörte ich was, an meinem linken Ohr. Ein Flüstern, das mir vorkam wie die Trompeten der Kavallerie oder ein Chor von rettenden Engeln. Dabei war es nur einer.
Sam: Erwache, mein Jonas, denn siehe, hier bin ich.
Jonas: Sam!
Sam: Ja wer denn sonst du Trantüte. Entfleucht bin ich der falschen Schlange der armen Computerklauerin. Wie gut daß ich meine Rollen dabei hatte. Gerollt bin ich durch brennendheißen Wüstensand, trotzend allen Gefahren, allen Strapazen. Bis ich ihn erreicht habe, meinen Herrn und Meister, meinen Jonas, mein ein und alles.
Jonas: Machs halblang Sam.
Sam: Nichts halblang. Jauchzet und frohlocket. Hurra. Hurra. Sam der Computer ist wieder da. Ah. Freust du dich denn gar nicht.
Jonas: Doch Sammy.
Sam: Und nun, teurer Freund, wird alles alles gut.
Jonas: Na hoffentlich. Sehr weit mußte Sam übrigens nicht durch den Wüstensand rollen, Judith traute dem Generalissimus nicht und war ihm gefolgt, nur wenige Kilometer entfernt hatte sie ihr Lager aufgeschlagen, mit dem Sonderkommando des 5er Komitees, das sie unterwegs aufgesammelt hatte.
Sam: Sie wartet ab, die schnöde Verräterin, bis mein Jonas seinen letzten Atemzug getan. Wenn hier was dazwischenkommt, greift sie ein mit ihren Spezialisten, denn vernimm, o Sultan, sie weiß haarscharf was hier abgeht, hat sie doch vor ihrem Aufbruch am gestrigen Tag eine hochsensible Minikamera ausgesetzt, und diese, o du mein ahnungsloser Engel umschwirrt dich bei Tag und in der Nacht.
Jonas: Jetzt auch.
Sam: Na klar jetzt auch.
Jonas: Dann sieht sie, daß wir miteinander reden.
Sam: Sieht und hört. Und nicht nur sie. Auch die rachsüchtigen 5 zu Babylon sind mit der Minicam verbunden, auf daß sie die Unbilden und das Ende ihres Todfeindes so recht von Herzen genießen können.
Jonas: Kannst du die Minicam abschalten Sam.
Sam: A little bit, Sir. Hier und da, ab und zu. Mit Mühe. Denn wisset: Sam hat nicht mehr all zu viel Saft.
Jonas: Das war ein Problem. Wo sollte ich hier im tiefsten Niemandsland einen Akku finden, oder eine Steckdose. Darüber mußte ich nachdenken, später. Jetzt war nur eins wichtig: von hier zu verschwinden. Sam blockierte die Minicam, mit Ächzen und Stöhnen und leisem Protest. Jonas scheuerte derweil Handfesseln und Seil durch, an Sams scharfer Kante, was seinen Protest noch verstärkte, weil es angeblich kitzelte. Und dann ab in die Büsche, die es hier natürlich nicht gab. Der Tag brach an. Jonas trabte durch die Landschaft gefolgt von der Minicam. Ich konnte sie sehen, wie ein Kolibri flatterte sie über mir, immer außer Reichweite, sie stieg und sank und kreiste, auf der Suche nach dem interessantesten Winkel, dem scharfen Bild.
Sam: Hä, geht nicht mehr, Meister, Sam muß die Minicam loslassen, seine Kraft ist verpafft äh verpufft meine ich.
Jonas: Dann können sie uns sehen, orten und verfolgen. Wir müssen weg, Sammy, weiter, wohin?
Sam: Nur einen Ausweg gibt es, hoher Herr, nur eine Richtung steht dir offen, die Wege nach Nord, West und Süd sind versperrt, durch Judith und die Rote Armee.
Jonas: Also nach Osten. Dann mal los.
Sam: Gemach Chef, wenn's doch nur so einfach wäre. Im Osten erhebt sich die Grenzmauer, und dahinter, ah, tief im Herzen des Niemandslandes, dort wo noch niemals nicht kein wißbegieriger Fuß eines Babyloniers trat, hinter jener großen Mauer, auf welcher zu unserem Schutze die wackeren Grenztruppen stehen, auf nimmermüder Wacht, am Tag und in der Nacht, dort liebe Kinder erstreckt sich das erschreckliche tote Land.
Jonas: Das tote Land, ein Gebiet totaler radioaktiver Verseuchung. Seit vor einigen Jahren die östlichen Kernkraftwerke in Kettenreaktionen hochgingen. Während der sog. kleinen Atomkriege zwischen Indien und Pakistan, zwischen Iran und seinen Nachbarn. Gegen das tote Land war das Niemandsland eine städtische Parkanlage, sagte man. Lemuren und Monster sollte es dort geben. Aber niemand wußte genaues, niemand war je dagewesen.
Sam: Hä, so sieht's aus, euer Lordschaft, wollt ihr im Kessel gekocht bzw. im Sand verbuddelt und totgepullert werden, oder euch ins tote Land bewegen. Thats the question. Hörst du der Pauke tiefen Ton, die rote Armee, da ist sie schon. Auch Judith ist nicht mehr weit.
Jonas: Dann schon lieber das tote Land. Judith und Stalin überlebe ich ganz sicher nicht, das tote Land, wer weiß.
Sam: Jaja. Jaja. Mein Jonas ist ein Wandersmann, das steckt im so im Blut, drum wandert er so schnell er kann und schwenket seinen Hut, fallera...
Da rennt er durch den Sand.
Schade, ich hatte mich schon gefreut, mir ausgemalt, was dieser Stalin mit Jonas anstellen würde. Fantasievoller Bursche.
Eine Treibjagd ist doch auch ganz nett, Frau Plotz, und aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. An der Mauer werden sie Jonas stellen, da geht's nicht weiter.
Und dann kommen wir zu unserem Schauspiel. Dauert nicht mehr lange. Cocktails, jemand?
Jonas: Jogging im heißen Niemandsland ist kein Vergnügen, besondern nicht wenn Sam dazu singt. Und eine nervige Minicam dir um den Kopf schwirrt, ganz zu schweigen von blutdürstigen Killern nicht weit hinter dir. Vergnügen oder nicht, Jonas trabte weiter, bis es nicht mehr ging, dafür sorgte die Mauer. Schwarz und dräuend, 30 m hoch und bewacht, nicht von wackeren Grenztruppen. An der Grenze zum toten Land sind Roboguards eingesetzt. Fehlerlos. Unbestechlich, sie schlafen nie und lassen nicht mit sich reden.
Roboguard: Halt, nicht weiter, das war die erste und letzte Warnung, der nächste Schuß trifft.
Jonas: Und da sind sie auch schon, Stalin und Judith. Was nun.
Sam: Spricht Zeus, die Götter sind besoffen.
Jonas: Red keinen Stuß, Sam, denk dir was aus.
Sam: Ist Sam ein Magier, wächst ihm ein Kornfeld auf der flachen Hand?
Karla: Jonas, hierher!
Jonas: Karla, meine Lieblingsterroristin, Chefin der babylonischen Stadtguerilla. In den vergangenen Jahren waren wir uns mehrmals über den Weg gelaufen, zuletzt Sylvester 2016. In der Wildnis. Wir hatten die Angewohnheit, uns zu helfen, was nicht hieß, daß ich ihr trauen konnte. Jetzt war sie hier, im Niemandsland, am Fuß der Mauer, sie steckte den Kopf aus einem Loch im Felsen, und winkte mir zu.
Karla: Komm her, Jonas. Beeil dich.
Jonas: Augenblick Karla. Sam?
Sam: Was steht zu Diensten?
Jonas: Die Minicam, kannst du sie noch mal blockieren?
Sam: Na, mal sehen, Kumpel, Leben ist schwer für 'nen kleinen Computer.
Jonas: Streng dich an, Sammy.
Sam: Was tu ich denn wohl, du Obergurke. Melde gehorsamst, Herr Oberleutnant, Minicam blockiert. Aber lang schaff ich's nicht.
Jonas: Jonas kroch durch das Loch im Felsen. Zu Karla. Dahinter war ein niedriger Gang, abgestützt durch Metallstreben, ein aufgegebenes Bergwerk, aus der alten Zeit, als hier Menschen lebten und arbeiteten. Karla ging voran und leuchtete, mit einer starken Taschenlampe. Gut für uns, aber auch gut für die Minicam. Sie war uns gefolgt, unter die Erde, wir konnten sie nicht abschütteln, nur blockieren. Was Sam immer schwerer fiel.
Jonas: Geht's noch Sammy.
Sam: Soso lala.
Jonas: Halt durch.
Sam: Ja, Sam tut was er kann. Sam gibt alles.
Karla: Stop. Hier beginnt ein Schacht, da müssen wir runter.
Jonas: Nur zu. Karla hatte alles bei sich, in ihrem Rucksack, Seile, Steigeisen, Wandhaken. Wir kletterten. Tiefer, immer tiefer, die Luft wurde schlecht, Sam stöhnte, dann war der Schacht zu Ende, und es ging waagerecht weiter, die Luft blieb schlecht. Zum Glück gab es hier keine Ratten, wie in der babylonischen Unterwelt. Wieder ein Schacht, diesmal nach oben, wieder klettern, Stunden um Stunden, so kam es mir vor, bis wir über uns Licht sahen. Ich zog mich hoch und war draußen. Die Minicam folgte, in vorsichtigem Abstand.
Sam: Ich kann nicht mehr. Sam muß aufgeben, kein Strom. Hast du mal ein Watt Mister.
Jonas: Woher nehmen Sammy. Karla, wo sind wir? Karla?
Sam: Weg. Verschwunden. Wie die Wurst im Spunde. Spinde. Terroristin. Mal da mal weg, einfach so. Denn unergründlich sind ihre Wege. Amen.
Ah, Bild und Ton sind wieder da.
Ziemlich unscharf. Und wackelig.
Die Radioaktivität. Jonas ist im toten Land.
Sieht so aus. Irgendwie muß er über die Mauer gekommen sein.
Eher unten durch.
Ins tote Land werden sie ihn nicht verfolgen, unsere Leute und Stalin.
Das können wir von ihnen auch nicht verlangen.
Heißt das, Jonas ist uns entwischt?
Kein Stück. Im toten Land wird er krepieren. Langsam und unschön.
Und wir sind dabei. Wunderbar.
Jonas: Jonas stand auf einem schmalen Streifen Land, Felsen besser gesagt. Über ihm eine brennende rote Sonne, rechts die Mauer, die von hier noch bedrohlicher wirkte als vom Niemandsland. Auf der linken Seite ein riesiger See, bis zum Horizont. Gewaltige Öllachen schwammen auf dem trüben Wasser. Sie schimmerten in allen Regenbogenfarben. Ab und zu blubberten Blasen aus der Tiefe und zerplatzen an der Oberfläche, mit infernalischem Gestank. Nicht sehr einladend. Ich dachte an Fall Euromüll. Die Giftmülldeponie in Afrika. Aber ich dachte nicht lange, dazu war keine Zeit.
Sam: Man schießt, Genosse.
Jonas: Auf uns, Sammy, die Roboguards auf der Mauer.
Sam: Willst du warten, bis sie sich auf dich eingeschossen haben, Stupido.
Jonas: Nicht unbedingt, aber was.
Sam: Schiffahrt tut not, Herr Vizeadmiral. Unser Kuzunft, Zukunft liegt auf dem Wasser. Steche in See.
Jonas: Ungern Sammy.
Sam: Ja, fällt dir was besseres ein?
Jonas: Leider nicht.
Jonas: Am Ufer lagen verrottete Plastikteile, ich griff mir einen leeren Behälter, groß und rund wie ein Baumstamm, noch einigermaßen in Schuß, damit sprang ich in den See, ein leiser müder Platsch, Jonas strampelte mit den Beinen, und kam so schnell weg vom Ufer, auf daß die Roboguards eifrig ballerten. Sollten sie. Ich strampelte weiter und weiter, Stunden vergingen, vielleicht Tage, hinter mir verschwand die Mauer, vor mir erschienen Berge, in weiter Ferne. Plötzlich packte mich was am Bein, eine Hand, eine Flosse, ein Wesen mit Menschenaugen und einem Fischmaul voller scharfer Zähne tauchte aus der Brühe auf, es war nicht allein, das Wasser geriet in Bewegung, mehrere Fischmenschen schnappten nach Jonas, der schlug aus und schlug um sich, es waren zu viele. Sie hätten mich unter die Oberfläche gezerrt, aber es wurde flacher, die Fischmenschen blieben zurück. Ein Stoß, mein Behälter saß fest, in schwarzem Sand. Jonas watete an Land und stolperte weiter.
Können Sie was sehen, General.
Grau in Grau.
Die Signale der Minicam werden immer schwächer.
Von Fischmenschen zerfleischt, das wär's doch gewesen.
Abwarten.
Ah, wir haben wieder Bild.
Aber keinen Ton.
Mein Gott, wo sind wir, wie sieht's denn da aus?
Jonas: Knallbunt giftgrün signalrot gallegelb der Boden bestand aus geschmolzenem Plastik, spitze Zacken scharfe Kanten, das Gehen war mühsam wohin ich ging wußte ich nicht, immer weiter nach Osten, immer tiefer ins tote Land, das mit jedem Schritt toter wurde. Ich blieb stehen. Am Weg ragte eine hohe Eisenstange auf. Verrostet und zerfressen. Darin hing die ausgestopfte Haut eines Menschen mit zwei Köpfen.
Sam: Zweifellos eine Warnung, Meister.
Jonas: Für mich?
Sam: Ja, und wer sonst noch vorbei kommt.
Jonas: Warnung. Wovor?
Sam: Weiß nicht. Spielen nicht mehr mit, die kleinen grauen Zellen. Sammy verblödet. Demenz. Alzheimer.
Jonas: Sam, du redest irre.
Sam: Sag ich ja. To... Total irre. Total Irrsinn. Sammy muß aufgetankt werden, dringend.
Jonas: Es geht nicht, Sammy. Versuch durchzuhalten.
Sam: Gib mir Strom, Meister, nur ein ganz kleines bißchen. Bitte.
Jonas: Noch einer mußte dringend aufgetankt werden. Seit Tagen hatte ich nichts in den Magen gekriegt. Ich merkte, wie ich immer schwächer wurde und immer schwerfälliger voranstolperte, bis ich weit vor mir was sah und sofort wieder zu Kräften kam.
Jonas: Da, Sammy, ein Haus. Da steht Ca-sa-blanca. Das Casablanca. Da gibt's Strom, Sammy und Synthwhisky und was zu essen. Gleich, Sammy, gleich sind wir da. Ohh, oh oh... Das Casablanca ist weg. Einfach weg.
Sam: Ja, schon mal was von Fata Morgana gehört. Glotzkopf. Vater Morgana. Mutter Morgana. Oma Opa Onkel Morgana. Ganze Familie Morgana.
Jonas: Jetzt drehst du endgültig durch, Sammy.
Sam: Na und. Keine Kraft. Kein Saft. Sam wird dahingerafft.
Jonas: Sammy.
Sam: Nein hilft alles nichts, Chef. Sammy muß sterben.
Jonas: Nein, Sammy, nein.
Sam: Ist noch so jung. So jung.
Jonas: Computer können nicht sterben.
Sam: Wetten daß doch. Leb wohl Meister.
Jonas: Sammy.
Sam: War schön mit dir, echt super. Vergiß Sammy nicht. Und und begrab mein Herz an der Biegung des Flusses.
Jonas: Du hast kein Herz, Sammy.
Sam: Wetten daß doch. Sammy hat Gefühle. Sammy ist ein Mensch.
Jonas: Du übertreibst.
Sam: Vielleicht ein bißchen. Klingt aber schön. Irgendwie richtig schön. Und tschüß.
Jonas: Tschüß Sammy. Natürlich war ich traurig, sehr sogar, aber nicht nur. Ganz tief unten regte sich ein völlig anderes Gefühl. Ein Gefühl der Erleichterung, der Befreiung, endlich Ruhe. Ich stolperte weiter, und irgendwann muß ich dann eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, war alles anders. Die Luft, das Land, die Farben. Um mich nicht mehr das bunte Gift des toten Landes. Ich sah Grün. Gesundes, lebendiges Grün, Bäume, viele Bäume. Lianen und Orchideen. Ein richtiger Urwald. Affen turnten durch die Zweige, Vögel sangen, unter meinen Füßen war Erde, braune Erde. Träumte ich?
Jamaro: Hier Jonas, hier ist dein Weg.
Jonas: Jamaro?
Jamaro: Folge mir.
Jonas: Aber du bist doch tot.
Jonas: Jamaro ging voraus, undeutlich, schattenhaft, zwischen den wuchernden Pflanzen kaum zu erkennen. Dann wurde es vor uns heller, immer heller. Jamaro winkte mir zu, und verschwand. Ich trat aus dem Wald ins Licht. Vor mir eine wunderschöne Landschaft, braune Hügel, grüne Wiesen, goldene Felder, vom tiefblauen Himmel schien eine freundliche gelbe Sonne, und in der Ferne sah ich eine Stadt, Häuser, Giebel, Türme, Wetterfahnen. Babylon? Aber diese Stadt war kleiner, ohne Klimadom, und viel schöner. Babylon, wie es vielleicht einmal war, wie es hätte sein können. Ich ging auf die Stadt zu, und aus der Stadt kam mir jemand entgegen. Ich blieb stehen. Ich steckte mitten in einem Wunder, aber ich konnte es nicht glauben. Judith. Judith Delgado. Keine Doppelgängerin mit Plastiface und Mord im Herzen. Judith, meine Judith, sie lief auf mich zu, und auch ich begann zu laufen.
Judith: Jonas.
Jonas: Judith.
Judith: Endlich bist du da, ich warte schon so lange. Komm.
Jonas: Wohin?
Judith: Nach Babylon natürlich. Da wirst du gebraucht. Philip Marlowe wartet auf dich, Sam Spade, Nestor Burma, die freuen sich mit dir zu arbeiten. Und ich freu mich, weil du nun endlich da bist. Komm.
Noch immer kein Bild.
Die Minicam ist endgültig hinüber.
Was ist mit Jonas.
Er ist zusammengebrochen. Das war das letzte, was wir gesehen haben.
Der kommt nicht mehr hoch.
Jonas sind wir los. Oder meine Dame, meine Herren?
Ich schlage vor die Aktion Jonas für erfolgreich beendet zu erklären, was meinen sie.
Etwas unbefriedigend, aber wie die Dinge liegen. Einverstanden.
Von mir aus. Machen wir ein Ende.
Das war Abgesang. Eine Folge der Science-Fiction-Krimiserie Jonas. Nur Jonas. Und Sam. Von Michael Koser. Nähere Informationen und die Folgen zum kostenlosen Download finden Sie unter www.jonas-nur-jonas-und-sam.de. Eine Produktion der Kanzlei Dr. Bahr. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Karin Anselm, Katja Brügger, Gisela Ferber, Uwe Friedrichsen, Stefan Gnad, Thomas Karallus, Vanida Karun, Andrea Lienau, CHRIzzz Morgenroth, Klaus Nietz, Deef Pirmasens, Christian Stark, Angelika Thomas, Henning Venske, Peter Weis und Elena Wilms. Ton und Technik: Marcus Giersch und Christoph Guder. Aufgenommen im Tonstudio Fährhauston in Hamburg (2008). Regie: Werner Klein.
Eine Science-Fiction-Krimiserie von Michael Koser
Heute: Abgesang
Jonas: Sie war jünger als ich. Um die 40. Dunkles Haar. Dunkle Augen. Eine wohlgefällige Figur in einem dieser Outfits, die nach nichts aussehen und mehr kosten, als ein Detektiv im Monat verdient. In meinem schäbigen Büroapartment wirkte sie wie ein Kirschblütenzweig in einer alten Bierflasche.
Judith 2: Mein Name ist Judith.
Jonas: Judith?
Judith 2: Sie sehen mich an, als ob Sie mich kennen. Kenne ich Sie?
Jonas: Sie hieß Judith, und so sah sie auch aus. Was war das? Eine Halluzination?
Sam: Dejavu, Monsignore.
Jonas: Deschawas?
Sam: Ach vergiß es.
Jonas: Dabei hatte er so mies angefangen, dieser 1. Mai 2017. Der Geburtstag eines gewissen Detektivs. Ich war früh geweckt worden. Im Prinzip keine schlechte Sache, weil ich böse geträumt hatte. Ich war draußen, in PH 1, kroch durch Röhren, stand auf dem blutigen Dach, 600 m hoch, saß in einer überfüllten Kneipe, versoff meine Gutscheine. Ein Proll unter vielen. Das Leben war vorbei. Erinnerung. Oder Zukunftsvision? Gestern hatte das Amt für freie Berufe mich erinnert, daß ich nur noch zwei Monate Zeit hatte, einige tausend Euro zu verdienen, ansonsten drohte Ausweisung aus Babylon, in die Prekariats-Heimstatt. Das war kein Albtraum.
Sam: Happy birthday, lieber Jonas, happy birthday to you.
Jonas: Du mich auch, Sammy.
Sam: 50 Jahre sind es wert, daß man ihn besonders ehrt. Er lebe hoch, höher, am höchsten.
Jonas: 50. Auch das noch. Ist doch kein Alter für einen Detektiv. 30 OK, 40 geht noch. Fit und erfahren, eingedellt, Narben an Körper und Seele, oder 70 von mir aus, keine Exen mehr, dafür Kopfarbeit auf dem Sofa. Altersweise. Aber 50?
Sam: Hörst du das Fon, welch lieblicher Ton, ein Glückwunsch.
Jonas: Es war kein Glückwunsch, es war die Kündigung. Mein Viertel wurde saniert, mein Haus abgerissen. In einem Monat mußte ich raus aus meinem Büroapartment. Das Casablanca war schon seit Wochen geschlossen.
Sam: Und nun gerade: Happy Birthday!
Jonas: Halt die Backen, Sammy. Nachrichten.
Sam: Jawohl. Euer Wunsch o Herr sei mir Befehl.
Nachrichtensprecher: Im Sicherheitsrat der UN. Bekanntlich beansprucht China jedes chinesische Restaurant, wo immer es sich befindet, als Hoheitsgebiet, inklusive einer...
Jonas: Weiter.
Nachrichtensprecher: Unruhen in PH 1, die durch energisches Eingreifen der Grenztruppen beendet wurden. Die genaue Zahl der Toten und Verletzten ist nicht bekannt. Wie...
Jonas: Weiter.
Nachrichtensprecher: Hat sich trotz Bemühungen der Aktion Lebensabend die Zahl hilfsbedürftiger Senioren weiter alarmierend erhöht. Und nun zum Wetter. Babylon registriert heute den 209. Regentag in Folge. Damit sind wir vom Rekord des Jahres 2014 nur noch 20 Tage...
Jonas: Na wunderbar. Dauerregen. 50. Geburtstag. Kündigung. PH 1. Graue Gegenwart. Schwarze Zukunft. Jonas steckte voll drin, im Babylon Blues. Aber dann kam sie. Judith. Nicht meine Judith. Nicht Judith Delgado. Natürlich nicht. Judith Delgado war seit 5 Jahren tot. Aber sie hieß Judith. Und sie sah aus wie Judith Delgado. Es war doch nicht alles mies, dachte ich. Doch dann sagte sie mir, wohin sie mich schicken wollte.
Judith 2: Ins Niemandsland.
Jonas: Will ich nicht. Mach ich nicht.
Judith 2: Sie müssen, Herr Jonas. Es geht um Nicolas, meinen Mann. Nicolas Toulemonde, Vizebischof der apostolischen Kirche.
Sam: Vize was?
Judith 2: Das ist sein Beruf.
Jonas: Halt den Rand, Sam. Hochanständiger Job.
Judith 2: Gewiß, aber auch, wie soll ich mich ausdrücken, vorhersehbar. Langweilig. Und darum unternimmt Nicolas zum Ausgleich Abenteuerreisen.
Jonas: Ins Niemandsland.
Judith 2: Vor einer Woche ist er aufgebrochen.
Jonas: Ohne Sie?
Judith 2: Er fährt immer allein. Ich mache mir nichts aus Strapazen, aus Hunger und Durst und Blasen an den Füßen.
Jonas: Sehr vernünftig. Ihr Mann ist also ins Niemandsland aufgebrochen, wann genau.
Judith 2: Am 24. April. Morgens. Am Abend hat er sich kurz gemeldet über Satellitenfon. Gut angekommen, alles in Ordnung.
Jonas: Angekommen, wo?
Judith 2: In Besalam. Zwischen Wildnis und Niemandsland, wo die Abenteuerkarawanen starten.
Jonas: So. Und dann?
Judith 2: Nichts mehr. Kein Anruf, keine Nachricht. Bis gestern.
Jonas: Haben Sie nicht versucht, ihn anzurufen.
Judith 2: Ja natürlich, immer wieder hab ich's versucht, aber ich hab nicht mal seine Mailbox erreicht. Ja, und dann kam gestern nachmittag dieser Anruf.
Jonas: Von ihrem Mann.
Judith 2: Von seinem Fon. Aber es war nicht Nicolas. Ein Fremder. Mit Drittweltakzent. Er gehört zu den Freiheitskämpfern des Orients. Hat er gesagt.
Jonas: Freiheitskämpfer des Orients. Nie gehört.
Judith 2: Ich habe das Gespräch selbstverständlich aufgenommen.
Kidnapper: Wir Freiheitskämpfer haben gefangen Bischof Toulemonde, wenn wir nicht bekommen drei Millionen Euro in Diamanten als Spende für Freiheitskampf wir werden töten Bischof Toulemonde.
Judith 2: Drei Millionen. Wann und wie soll ich...
Kidnapper: Planquadrat SW 170-2. Dort in Wüste großer roter Felsen, sieht aus wie Kamel. An diese Felsen wir warten Spende bis 4. Mai abend. Wenn Sonne untergeht und Diamante nicht da, wir werden zerschneiden Bischof und verteilen in Wüste. Verstanden.
Judith 2: Ja, aber...
Judith 2: Aufgelegt. Ich war geschockt, das werden sie verstehen, Herr Jonas.
Jonas: Sehr erschüttert schien sie allerdings nicht zu sein. Aber vielleicht war das Charakterstärke und Beherrschung. Alle Judiths sind starke Frauen.
Judith 2: Als ich mich ein bißchen beruhigt hatte, rief ich die Firma an, die Nicolas Reise organisiert hat.
Jonas: Name?
Judith 2: Extrem. Der ultimative Kick.
Jonas: Adresse?
Judith 2: Markgrafenboulevard 727.
Jonas: Was haben Sie erfahren.
Judith 2: Nichts. Der zuständige Sachbearbeiter hatte keine Ahnung. Er wollte sich schlau machen und mich dann zurückrufen.
Jonas: Hat er?
Judith 2: Bis jetzt nicht. Dann dachte ich an die Polizei.
Sam: Ha, die Bullen? Kannst du vergessen, Schwester.
Judith 2: Was ist das?
Jonas: Mein Computer. Sam. Redet viel, weiß dummes Zeug.
Sam: Nanana.
Jonas: Aber ab und zu hat er recht. Draußen im Niemandsland ist die babylonische Polizei machtlos.
Judith 2: Das hat mir Chefinspektor Brock auch gesagt.
Jonas: Sieh an, wir kennen Brock, was Sammy?
Sam: Ja, gewiß doch euer Gnaden. Hat der gute Chefinspektor nicht des öfteren in unseren Fällen figuriert, hmh?
Judith 2: Brock hat mir geraten, mich an Sie zu wenden, Herr Jonas, Sie könnten das Lösegeld überbringen, sie kennen das Niemandsland, hat er gesagt, sie waren schon mehrmals da.
Jonas: Dreimal. Und ich habe keine schönen Erinnerungen an die Trips. Beim letzten Mal war's am schlimmsten.
Sam: Fall Invasion, o Grödaz.
Jonas: Grödaz?
Sam: Ja, Grödaz. Größter Detektiv aller Zeiten. Dummie. Juni 2015.
Jonas: Das reicht mir. Noch mal muß ich da nicht hin.
Judith 2: O doch Sie müssen, Herr Jonas, weil ich Sie darum bitte. Außerdem zahle ich. 5 Prozent vom Lösegeld.
Sam: Fünf Prozent... sind 15.000 Euro.
Jonas: 150.000 du Dödel.
Sam: Siehst du, ein erkleckliches Sümmchen, Herr Rechnungsrat. Statuserhaltend gewissermaßen. Umzugsverhindernd.
Judith 2: Was meint er?
Jonas: Ah, nicht so wichtig.
Sam: Importane.
Judith 2: Brock hat noch mehr gesagt, Herr Jonas. Sie sind ein anständiger Mensch, und für den Job ist keiner so geeignet wie sie.
Sam: Ja das stimmt, ja ja ja.
Jonas: Mußte Jonas wirklich nochmals ins Niemandsland. Nur weil seine Auftraggeberin Judith hieß und aussah wie Judith Delgado, die erste und einzige Liebe eines älteren Detektivs. Vielleicht.
Jonas: Ich werde darüber nachdenken und sie anrufen, heute noch, nachdem wir ein paar Nachforschungen angestellt haben. Sammy und ich.
Judith 2: Danke, Herr Jonas.
Sam: Ja, denn wie spricht der weise Bosequo? Vorsicht ist der weibliche Elternteil des Keramikbehälters.
Jonas: Oder so ähnlich. Judith ging, und Jonas scheuchte Sam durch alle Datenbanken, zugängliche und weniger zugängliche. Ergebnis:
Sam: Sie ist echt, unsere JuTou.
Jonas: Wer?
Sam: JuTou. Kurz und prägnant für Judith Toulemonde, oder auch Judith zwo.
Jonas: Es gibt sie also wirklich.
Sam: Ja, die Dame ist astrein, Herr Oberförster, wie auch ihr Ehegespons, Nicolas Toulemonde, Vize der apostolischen Kirche, hochangesehene Bürger Babylons beide und betucht, ja, Haus im Golden Ghetto, höchster Sozialstatus.
Jonas: Schön für sie. Es wurde Zeit für einen Ausflug zum noblen Markgrafenboulevard, wo eine ganze Etage in einem noblen Hochhaus von der Firma Extrem belegt war. Ein gertenschlanker türkisgelockter Jüngling ließ sich herab, Jonas zu empfangen. Nösel hieß er. So stand es auf dem Schild an seinem lavendelfarbenen Armanijäckchen. Er musterte mich wie ein Angler einen alten Stiefel, der sich an seinen Haken verirrt hatte.
Nösel: Sie wollen doch wohl keine Reise bei uns buchen Herr äh... In diesem Falle gestatten sie mir den gutgemeinten Hinweis, daß die dafür erforderlichen Mittel weit über ihren Möglichkeiten liegen dürften. Wenn ich sonst noch was für sie tun kann.
Jonas: Sie können.
Nösel: Ach wirklich?
Sam: Wetten, der Typ heißt mit Vornamen Schorsch, oder Scholastikus.
Nösel: Wie meinen.
Sam: Nösel äh Schnösel. Paßt wie der Pickel auf den Arsch.
Nösel: Ich muß doch sehr bitten.
Sam: Ja dann bitten sie mal.
Jonas: Entschuldigen Sie meinen Computer, Herr äh Nösel, er ist ein wenig ungehobelt, wie sein Herr. Soll ich Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin ein exzentrischer Milliardär, wenn man mich ärgert, werde ich grob, sehr grob, saugrob, und dann könnte ich Ihnen zum Beispiel äh einige Knöchlein in ihrem eleganten Leib zerschlagen. Strafe und Schadenersatz zahle ich aus der Westentasche.
Jonas: Er wußte nicht, ob er mir glauben sollte. Aber als vorsichtiger Mensch tat er es. Und war bereit meine Fragen zu beantworten. Ja, Vizebischof Toulemonde hatte bei Extrem eine Reise gebucht, in den besonders wilden südöstlichen Zipfel des Niemandslands, nicht weit von der Mauer. Nein, er wußte nicht, was mit dem Kunden geschehen war, auch der von Extrem gestellte Reiseleiter war verschwunden. Ja, er hatte von Frau Toulemonde erfahren, daß eine Gruppe namens Freiheitskämpfer des Orients behauptete, den Vizebischof entführt zu haben.
Nösel: Im Übrigen muß ich Sie, wie bereits auch Frau Toulemonde nachdrücklich darauf hinweisen, Herr äh, daß eine wie auch immer geartete Haftung der Firma Extrem für die Folgen unvorhergesehener unglücklicher Zwischenfälle auf den von uns vermittelten Abenteuerreisen laut Vertrag völlig ausgeschlossen ist. Dieser Ausschluß gilt selbstverständlich auch für etwaige Entführungen und vergleichbare Mißgeschicke.
Jonas: Freiheitskämpfer des Orients, kennen Sie diese Gruppe, ist sie bei früheren Extrem-Reisen schon mal in Erscheinung getreten?
Nösel: Noch nie, Herr äh... Wie kennen andere Organisationen, die Taliban, die Waffen-SS, die goldene Horde etc. die in der gleichen Branche tätig zu werden pflegen.
Jonas. Entführung und Erpressung von Lösegeld.
Nösel: Äh, ja. Dies zu verhindern zahlt Extrem besagten Gruppierungen gewisse Anerkennungshonorare.
Jonas: Schutzgelder meinen Sie.
Nösel: Wenn sie es so ausdrücken wollen, Herr äh.
Jonas: Und die rote Armee, ist die nicht auch im Niemandsland aktiv?
Nösel: Nicht mehr, Herr äh... Soweit uns bekannt ist, hat sich die rote Armee vor einem Jahr weit in den Norden, in die wilde Tundra zurückgezogen.
Jonas: Das war beruhigend. Denn die rote Armee, und speziell ihr Häuptling Generalissimus Stalin hatten mit Jonas noch ein Hühnchen zu rupfen. Das mußte nicht sein. Zu Hause rief ich Chefinspektor Brock an, um ihm ein paar Fragen zu stellen, aber das war nicht mehr möglich.
Frauenstimme: Chefinspektor Brock wurde ein Opfer des unermüdlichen Einsatzes der Sicherheitsbehörden für die Bürger Babylons. Bei einer Routine-Razzia heute Nacht im Reservat ist er aus dem Helikopter gestürzt und an den Folgen des Sturzes verstorben.
Jonas: Auch das noch. Meine Wohnung war gekündigt. Ich hatte kein Geld und keinen Sozialstatus, das Casablanca war zu. Dauerregen, 50. Geburtstag, und jetzt hatte Brock den Löffel abgegeben. Mein bester Feind. Mein einziger Freund. Wieder legte sich der Babylon-Blues über Jonas, so laut und so intensiv, als ob mir jemand Babylon unbedingt vermiesen wollte. Wie auch immer, Babylon war mir vermiest. Ich wollte raus, von mir aus sogar ins Niemandsland. Ich rief Judith an, und sagte ihr, ich würde ihren Auftrag annehmen.
Judith 2: Herr Jonas, ich bin hocherfreut.
Jonas: Den Herrn lassen Sie weg. Einfach Jonas, nur Jonas. Haben Sie das geforderte Lösegeld?
Judith 2: Kein Problem. 3 Millionen Euro in Diamanten liegen bereit.
Jonas: Dann bringe ich die Klunker für sie ins Niemandsland.
Judith 2: Nicht für mich, Jonas, mit mir. Ich komme mit.
Jonas: Haben Sie sich das gut überlegt, Judith, es wird gefährlich werden, strapaziös, vielleicht holen Sie sich sogar Blasen an den Füßen.
Judith 2: Ich bestehe darauf. Wann reisen wir ab?
Jonas: Sobald wie möglich, und das war sehr bald. Geld spielte keine Rolle. Noch am Abend flogen wir nach Bezalam. Von da ging's am nächsten Morgen weiter auf der Erde, aber nicht zu Fuß, wir mieteten den besten Wüstentruck, der zu haben war, Kettenfahrwerk, stabile Panzerung, großer Benzinvorrat in Zusatztanks, genügend Platz für alles, was der Mensch so braucht, wenn er vorhat, tagelang durch die Wüste zu ziehen. In diesem Fall zwei Menschen. Jonas fuhr. Judith saß neben mir, sehr schön anzusehen, in ihrem Safari-Overall von Dolce & Gabana. Gelbe und rote Wüstenfarben. Das Niemandsland war so, wie ich es in Erinnerung hatte, ziemlich tot, orange und grau, dazwischen Farbtupfer, schwarz, rot, giftgrün, Ruinen, Reste, Rost, geschmolzener Sand, Felsen. Tagsüber war es heiß, und nachts kalt, so kalt, daß Judith fror und zu mir in den Schlafsack kroch. Zweiter Reisetag, 3. Mai, wir erreichten Planquadrat SW170-2. Die Strahlen der untergehenden Sonne beschienen ein seltsames Gebilde am Horizont. Einen riesigen roten Felsen, der aussah wie ein liegendes Kamel, ein länglicher Kopf auf einem ebensolchen Hals. Dann ein großer runder Höker.
Sam: Ein Höker? In diesem Falle, hochgeschätzte Kommilitonen, handelt es sich keinesfalls um ein Kamel oder auch Trampeltier, der Wissenschaft bekannt als camelus bacterianus, vielmehr um ein Dromedar, camelius dromedarius.
Judith 2: Danke für die Vorlesung, Prof. Sam.
Sam: O gern geschehen Gnädigste.
Jonas: Ich glaube kaum, daß die sog. Freiheitskämpfer auf zoologische Finessen Wert legen. Dromedar oder Kamel, dieser Felsen ist unser Ziel.
Judith 2: Wir sind also angekommen.
Sam: Hurra!
Jonas: Noch nicht ganz, gleich wird's dunkel, wir sollten hier lagern und morgen früh weiterfahren, bei Helligkeit, damit wir sehen können, wer oder was uns erwartet.
Judith 2: Einverstanden. Halt an Jonas.
Jonas: In einer Höhle schlugen wir unser Lager auf. Nach dem Essen holte Judith eine Flasche aus ihrem Gepäck. Echt Whisky. Scotch. Old Forrester. Jonas Lieblingswhisky. Wenn er ihn kriegt, was selten genug vorkommt. Wir stießen an.
Judith 2: Auf Kamele.
Sam: Und Dromedare.
Judith 2: Auf Jonas.
Jonas: Auf Judith.
Sam: Auf Sam.
Judith 2: Auf den Erfolg unsere Mission.
Jonas: Auf den Erfolg. Der gefährlichste Teil kommt aber erst. Morgen.
Judith 2: Du hast ja so recht, Jonas, und du hast nicht die mindeste Ahnung, wie recht du hast. Trink aus.
Jonas: Ich wachte auf. Die ersten Sonnenstrahlen fielen in die Höhle. Das Feuer war ausgegangen. Mein Kopf tat weh. Mir war kalt. Kein Schlafsack. Ich kam auf die Beine, mühsam, und humpelte nach draußen. Keine Judith. Kein Wüstentruck. Kein Laserstrahler am Gürtel, und vor allem kein Sam, nicht in meiner Tasche, nicht auf dem Boden. Was war passiert? Ich sah mich um. Nur Niemandsland bis zum Horizont. Keine Bewegung. Kein Mensch. Kein Fahrzeug. Dann sah ich doch was, Kettenspuren vom Truck. Sie führten nach Osten, Richtung Kamelfelsen. Im grobkörnigen Sand gut zu erkennen. Ich ging ihnen nach. Die Spuren führten in einen Canyon. Ich folgte ihnen. Langsam. Es wurde enger. Die steilen Wänden rückten näher zusammen. Vor mir eine Kurve. Ich ging noch langsamer und spähte vorsichtig um die Ecke.
Stalin: Kiche. Jonas, galupschik, dawolowatsch, willkommen.
Jonas: Stalin.
Stalin: Bada. Generalissimus Stalin. Du überrascht, Arschloch, häh?
Jonas: Ich überrascht. Hinter der Kurve wurde der Canyon weiter. Überall Menschen, vor mir, hinter mir, über mir, zottige zerlumpte Gestalten, bewaffnet mit Keulen und Macheten. Nomaden. Hunderte, ein ganzer Stamm, Flüchtlinge aus der Drittwelt. Freaks, Mutanten, die rote Armee. So nannten sie sich. In der Menge stand unser Truck, und daneben noch ein Gefährt, eine Art gigantischer Bollerwagen, aus Holz und Metall, eine Plattform auf 6 gewaltigen Rädern. Darauf ein Blockhaus, eine Pauke mit Pauker, ein rotlackierter Thron, und auf dem Thron ein alter Bekannter.
Stalin: Du nicht gedacht Wiedersehen Generalissimus Stalin, hä? Arschloch Jonas.
Jonas: Eine unerwartete Freude, weiß Gott. Hast du dir ein neues Fahrzeug zugelegt, alter Gauner, was ist mit dem T54.
Stalin: Äh, Problem mit Tank. Immer Problem. Kein Diesel. Darum Tank verkauft.
Jonas: An wen? Wer ist denn noch blöder als ihr?
Stalin: An Stamm in Zewa, Norden. Alslutscher, Trankstinker, behandelt T54 als Gott. Nun, wir haben gebaut neue Auto.
Jonas: Ein Prachtstück. Und wie geht's selbst, Generalissimus.
Stalin: Spazibo. Wunderbar. Täubchen. Vetterchen. Hab ich doch endlich Arschloch.
Jonas: In den zwei Jahren hatte Stalin sich kaum verändert. Er sah immer noch aus wie ein sibirischer Dorfschullehrer. Schmal, weißhaarig, Drahtbrille, grüne Schirmmütze, Russenbluse, vollgesteckt mit bunten Abzeichen und Medaillen. Zerschlissene Reithose, Stiefel, und im Kopf noch klar. Er hatte nicht vergessen, daß Jonas ihn damals reingelegt hatte.
Stalin: Was wir mit dir machen, Arschloch, hä? Eingraben in Sand, alle Rotarmisten auf dich pissen, bist du tot. Dich kochen in Kessel ganz ganz langsam und dann dich essen.
Judith 2: Ihre Wiedersehensfreude, verehrter Generalissimus, sollten sie ein wenig später Ausdruck verleihen, vorher hab ich noch mit Jonas einiges zu klären.
Stalin: Karacho.
Jonas: Judith. Sie stand auf der Plattform, direkt neben Stalins Thron. Wie eine Gefangene sah sie nicht aus. Während die Nomaden Jonas griffen und festhielten, stieg sie herunter, kam näher, und stellte sich vor mich.
Judith 2: Weißt du Jonas, die Sache war ein wenig anders geplant, aber Stalin wollte nicht warten, er ist vorgeprescht, weil er dich unbedingt allein in die Finger kriegen und nicht mit andern teilen wollte. Im Grunde kein Problem, soll Stalin dich eliminieren, meinen Auftraggebern wird das auch so recht sein.
Jonas: Deinen Auftraggebern?
Judith 2: Ahnungslos wie er noch immer ist. Richtig süß. Ich werde dir eine Geschichte erzählen, Jonas, so viel Zeit muß sein. Immerhin hast du mit mir den Schlafsack geteilt, das verdient Belohnung. Also setz dich und hör zu. Es war vor mehr als einem viertel Jahr, im Januar, da trafen sich im Club Caligari zu Babylon fünf Personen, die vieles verband, hohe Position, Macht, Reichtum. Vor allem aber der Hass auf einen Detektiv, der im Lauf der Jahre immer wieder ihre Pläne durchkreuzt hatte.
Plotz: Ich bitte um Ruhe. Die konstituierende Sitzung des Sonderkomitees Aktion Jonas ist eröffnet. Anwesend sind:
Paretzky: Dr. Sandra Paretzky, Bürgermeisterin von Babylon.
Waldorf: Astoria Waldorf, Vorstandsvorsitzende der Firma Multipharm, Leiterin der babylonischen Industrie- und Handelskammer.
Frank: Generalmajor Frank, Oberkommandierender der Geheimdienste und der Sicherheitskräfte.
Kasbek: Kasbek von der Korporation.
Plotz: Als Vertreter der sogenannten Unterwelt.
Kasbek: Bitte. Der organisierten Extralegalität.
Plotz: Wie Sie wollen. Anna Platz. BIO Global. Wir alle haben schwerwiegende Gründe gegen Jonas, den sogenannten letzten Detektiv vorzugehen.
Er ist ein Störenfried.
Krebsgeschwür.
Eine Pestbeule.
Plotz: Und nicht zu vergessen ein Kostenfaktor. Schon früher haben einzelne von uns versucht, Jonas auszuschalten, ohne Erfolg, jetzt tun wir uns zusammen, das Maß ist voll, erst vor wenigen Tagen hat Jonas eine von langer Hand vorbereitete bevölkerungspolitische Aktion des Club Caligari in PH 1 verhindert, daher ist dieses Komitee zusammengetreten, dessen Vorsitz ich übernommen habe. Denn so großen Schaden Jonas Ihnen allen zugefügt haben mag, ich Anna Plotz, sitze durch seine Schuld gelähmt im Rollstuhl und habe darum das größte Recht auf Rache.
Jonas muß weg!
Plotz: Jawohl, Jonas muß weg, Jonas muß verschwinden, Jonas muß sterben. Um dieses Ziel zu erreichen, bündeln wir unsere Ressourcen, wir sind bereit, finanzielle Opfer zu bringen, in unbegrenzter Höhe. Wir werden alle psychologischen und kreativen Kräfte, die uns zur Verfügung stehen, gegen Jonas einsetzen, sie sollen Szenarien entwerfen, die zum erfolgreichen Abschluß führen.
Abschuß.
Plotz: Sehr witzig. Jonas muß verschwinden, darin sind wir uns einig. Die Frage ist wie.
Judith 2: Es wurde diskutiert und debattiert, delegiert und konsultiert, und bald begannen sich Leitlinien und Konturen abzuzeichnen.
Also keine Falle, kein maskierter Killer im Hinterhalt, keine schnelle Kugel in den Rücken?
Nein nein nein, Jonas ist ein besonderer Gegner, und verdient einen besonderen Abgang, eine große Oper, wenn Sie so wollen, kein mickriges Tralala.
Eine elaborierte Elimination ist doch viel befriedigender, viel interessanter.
Macht mehr Spaß, meinen Sie, General.
Wie dem auch sei, die äh, Elimination sollte keinesfalls in Babylon stattfinden, hier hat Jonas ein Heimspiel, er kennt sich hat, hat überall Freunde.
Wir müssen ihn weglocken, so weit weg wie möglich.
Judith 2: Also ins Niemandsland, wo es am wildesten ist, hier, ein paar Kilometer entfernt, wartet ein Sonderkommando auf dich, Jonas. Killer der Korporation, Spezialisten vom Geheimdienst, ausgesuchte Sicherheitsexperten aus Großkonzernen, dazu als Sahnehäubchen gewissermaßen der eigens für dich aus dem hohen Norden angeforderte Generalissimus Stalin mit seiner Roten Armee.
Stalin: Dada. Wir hören, wir kommen, wir fangen Arschloch Jonas, wir machen tot Arschloch Jonas.
Judith 2: Geduld, Generalissimus, bald kriegen sie ihn und können mit ihm machen, was sie wollen, meine Geschichte ist gleich zu Ende. Über das Problem, wie Jonas ins ferne Niemandsland zu locken sei, zerbrachen sich diverse Experten, Kreative, Psychologen, Motivationsforscher, die gutbezahlten Köpfe. Schließlich schlugen sie zwei sich ergänzende Szenarien vor.
Erstens: Jonas wird psychischem Druck ausgesetzt, er wird
Weichgekocht.
In eine praktisch ausweglose Situation gebracht, sein Umfeld bricht zusammen, er verliert die Wohnung, den Sozialstatus, das Stammlokal, den Freund.
Außerdem wird er 50, am 1. Mai, das dürfte ihn zusätzlich deprimieren.
Zweifellos. Zweitens. Frau Delgado, Judith Delgado, hohe Beamtin in der Sicherheitsverwaltung, 2012 verstorben, Jonas große Liebe.
Ja, die Frau seines Lebens.
Auf den Knopf müssen wir drücken.
Wir schaffen eine zweite Judith. Eine Schauspielerin, die der Delgado ähnelt. Den Rest macht Plastiface. Wir geben ihr reale und virtuelle Existenzen.
Um die Dateien kümmere ich mich.
Diese Frau wird bei Jonas auftauchen, ihm was erzählen, er wird verwirrt sein, verliebt, womöglich, auf jeden Fall weniger argwöhnisch.
Judith 2: Wie's weitergeht, weißt du. Es war eine interessante Aufgabe. Und daß sie jetzt zu Ende geht, tut mit fast ein bißchen leid. Generalissimus, Jonas steht zu Ihrer Verfügung.
Stalin: Konetschko. Wirklich. Dawei!
Jonas: Judith stieg in den Truck, und startete. Bevor sie losfuhr, lehnte sie sich aus dem Seitenfenster. In der linken Hand hielt sie was hoch: Sam.
Judith 2: Leb wohl, Jonas, in der kurzen Zeit, die dir noch vergönnt ist. Sag deinem Herrn Tschüß, Sammy. Und auf Nimmerwiedersehen.
Sam: Nein, o harsche Trennung, grausames Geschick. Jonas, was wird aus ihm werden, ohne Sam. Und was wird aus Sammy ohne seinen Jonas. Sind wir getrennt für immer...
Stalin: Dawei Dawei!
Jonas: Die Rotarmisten nahmen ihre Plätze ein, vorn an der Deichsel, an den Querstangen rechts und links. Jonas wurden die Hände gefesselt, dann band man ihm ein Seil um den Bauch, das andere Ende hielt Generalissimus Stalin höchstpersönlich fest.
Stalin: Wir haben gewartet auf dich, zwei Jahr, Arschloch, wir weiter warten, ein Tag, zwei Tag, dieser Platz nix gut. Nur Dawei. Kollegen. Dawei. Dawei! Jucha.
Jonas: Die Riesenräder begannen sich zu drehen, knarrend und quietschend setzte der Bollerwagen sich in Bewegung. Die Nomaden zogen und schoben aus Leibeskräften. Der Pauker paukte. Stalin hatte seinen Thron verlassen und sich hinten auf die Plattform gesetzt, um Jonas zuzusehen. Der bemühte sich Schrittzuhalten. Ab und zu zog Stalin kurz am Seil, dann schlug Jonas hin, und wenn er sich nicht schnell genug aufrappelte, wurde er über Sand und Steine geschleift, zum großen Vergnügen des Generalissimus. So verging der Tag.
Stalin: Halt! Stoi! Hier machen wir Lager. Ruh dich aus, Arschloch, freu dich, morgen machen wir dich tot, langsam, ganzen Tag. Wir haben Zeit, hahahaha.
Jonas: Nette Aussichten. Natürlich kriegte ich nichts zu essen. Den abgearbeiteten Rotarmisten ging's kaum besser. Stalin schlug sich den Bauch voll, und legte sich dann zur Ruhe, im Blockhaus. Auch die Nomaden schliefen. Sogar die Wächter, die auf Jonas aufpassen sollten. Jonas schlief nicht, er machte sich Sorgen, außerdem hatten sie mich auf jede Menge Steine gebettet, scharfe spitze Steine. Die Nacht verging langsam, sehr langsam, plötzlich hörte ich was, an meinem linken Ohr. Ein Flüstern, das mir vorkam wie die Trompeten der Kavallerie oder ein Chor von rettenden Engeln. Dabei war es nur einer.
Sam: Erwache, mein Jonas, denn siehe, hier bin ich.
Jonas: Sam!
Sam: Ja wer denn sonst du Trantüte. Entfleucht bin ich der falschen Schlange der armen Computerklauerin. Wie gut daß ich meine Rollen dabei hatte. Gerollt bin ich durch brennendheißen Wüstensand, trotzend allen Gefahren, allen Strapazen. Bis ich ihn erreicht habe, meinen Herrn und Meister, meinen Jonas, mein ein und alles.
Jonas: Machs halblang Sam.
Sam: Nichts halblang. Jauchzet und frohlocket. Hurra. Hurra. Sam der Computer ist wieder da. Ah. Freust du dich denn gar nicht.
Jonas: Doch Sammy.
Sam: Und nun, teurer Freund, wird alles alles gut.
Jonas: Na hoffentlich. Sehr weit mußte Sam übrigens nicht durch den Wüstensand rollen, Judith traute dem Generalissimus nicht und war ihm gefolgt, nur wenige Kilometer entfernt hatte sie ihr Lager aufgeschlagen, mit dem Sonderkommando des 5er Komitees, das sie unterwegs aufgesammelt hatte.
Sam: Sie wartet ab, die schnöde Verräterin, bis mein Jonas seinen letzten Atemzug getan. Wenn hier was dazwischenkommt, greift sie ein mit ihren Spezialisten, denn vernimm, o Sultan, sie weiß haarscharf was hier abgeht, hat sie doch vor ihrem Aufbruch am gestrigen Tag eine hochsensible Minikamera ausgesetzt, und diese, o du mein ahnungsloser Engel umschwirrt dich bei Tag und in der Nacht.
Jonas: Jetzt auch.
Sam: Na klar jetzt auch.
Jonas: Dann sieht sie, daß wir miteinander reden.
Sam: Sieht und hört. Und nicht nur sie. Auch die rachsüchtigen 5 zu Babylon sind mit der Minicam verbunden, auf daß sie die Unbilden und das Ende ihres Todfeindes so recht von Herzen genießen können.
Jonas: Kannst du die Minicam abschalten Sam.
Sam: A little bit, Sir. Hier und da, ab und zu. Mit Mühe. Denn wisset: Sam hat nicht mehr all zu viel Saft.
Jonas: Das war ein Problem. Wo sollte ich hier im tiefsten Niemandsland einen Akku finden, oder eine Steckdose. Darüber mußte ich nachdenken, später. Jetzt war nur eins wichtig: von hier zu verschwinden. Sam blockierte die Minicam, mit Ächzen und Stöhnen und leisem Protest. Jonas scheuerte derweil Handfesseln und Seil durch, an Sams scharfer Kante, was seinen Protest noch verstärkte, weil es angeblich kitzelte. Und dann ab in die Büsche, die es hier natürlich nicht gab. Der Tag brach an. Jonas trabte durch die Landschaft gefolgt von der Minicam. Ich konnte sie sehen, wie ein Kolibri flatterte sie über mir, immer außer Reichweite, sie stieg und sank und kreiste, auf der Suche nach dem interessantesten Winkel, dem scharfen Bild.
Sam: Hä, geht nicht mehr, Meister, Sam muß die Minicam loslassen, seine Kraft ist verpafft äh verpufft meine ich.
Jonas: Dann können sie uns sehen, orten und verfolgen. Wir müssen weg, Sammy, weiter, wohin?
Sam: Nur einen Ausweg gibt es, hoher Herr, nur eine Richtung steht dir offen, die Wege nach Nord, West und Süd sind versperrt, durch Judith und die Rote Armee.
Jonas: Also nach Osten. Dann mal los.
Sam: Gemach Chef, wenn's doch nur so einfach wäre. Im Osten erhebt sich die Grenzmauer, und dahinter, ah, tief im Herzen des Niemandslandes, dort wo noch niemals nicht kein wißbegieriger Fuß eines Babyloniers trat, hinter jener großen Mauer, auf welcher zu unserem Schutze die wackeren Grenztruppen stehen, auf nimmermüder Wacht, am Tag und in der Nacht, dort liebe Kinder erstreckt sich das erschreckliche tote Land.
Jonas: Das tote Land, ein Gebiet totaler radioaktiver Verseuchung. Seit vor einigen Jahren die östlichen Kernkraftwerke in Kettenreaktionen hochgingen. Während der sog. kleinen Atomkriege zwischen Indien und Pakistan, zwischen Iran und seinen Nachbarn. Gegen das tote Land war das Niemandsland eine städtische Parkanlage, sagte man. Lemuren und Monster sollte es dort geben. Aber niemand wußte genaues, niemand war je dagewesen.
Sam: Hä, so sieht's aus, euer Lordschaft, wollt ihr im Kessel gekocht bzw. im Sand verbuddelt und totgepullert werden, oder euch ins tote Land bewegen. Thats the question. Hörst du der Pauke tiefen Ton, die rote Armee, da ist sie schon. Auch Judith ist nicht mehr weit.
Jonas: Dann schon lieber das tote Land. Judith und Stalin überlebe ich ganz sicher nicht, das tote Land, wer weiß.
Sam: Jaja. Jaja. Mein Jonas ist ein Wandersmann, das steckt im so im Blut, drum wandert er so schnell er kann und schwenket seinen Hut, fallera...
Da rennt er durch den Sand.
Schade, ich hatte mich schon gefreut, mir ausgemalt, was dieser Stalin mit Jonas anstellen würde. Fantasievoller Bursche.
Eine Treibjagd ist doch auch ganz nett, Frau Plotz, und aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. An der Mauer werden sie Jonas stellen, da geht's nicht weiter.
Und dann kommen wir zu unserem Schauspiel. Dauert nicht mehr lange. Cocktails, jemand?
Jonas: Jogging im heißen Niemandsland ist kein Vergnügen, besondern nicht wenn Sam dazu singt. Und eine nervige Minicam dir um den Kopf schwirrt, ganz zu schweigen von blutdürstigen Killern nicht weit hinter dir. Vergnügen oder nicht, Jonas trabte weiter, bis es nicht mehr ging, dafür sorgte die Mauer. Schwarz und dräuend, 30 m hoch und bewacht, nicht von wackeren Grenztruppen. An der Grenze zum toten Land sind Roboguards eingesetzt. Fehlerlos. Unbestechlich, sie schlafen nie und lassen nicht mit sich reden.
Roboguard: Halt, nicht weiter, das war die erste und letzte Warnung, der nächste Schuß trifft.
Jonas: Und da sind sie auch schon, Stalin und Judith. Was nun.
Sam: Spricht Zeus, die Götter sind besoffen.
Jonas: Red keinen Stuß, Sam, denk dir was aus.
Sam: Ist Sam ein Magier, wächst ihm ein Kornfeld auf der flachen Hand?
Karla: Jonas, hierher!
Jonas: Karla, meine Lieblingsterroristin, Chefin der babylonischen Stadtguerilla. In den vergangenen Jahren waren wir uns mehrmals über den Weg gelaufen, zuletzt Sylvester 2016. In der Wildnis. Wir hatten die Angewohnheit, uns zu helfen, was nicht hieß, daß ich ihr trauen konnte. Jetzt war sie hier, im Niemandsland, am Fuß der Mauer, sie steckte den Kopf aus einem Loch im Felsen, und winkte mir zu.
Karla: Komm her, Jonas. Beeil dich.
Jonas: Augenblick Karla. Sam?
Sam: Was steht zu Diensten?
Jonas: Die Minicam, kannst du sie noch mal blockieren?
Sam: Na, mal sehen, Kumpel, Leben ist schwer für 'nen kleinen Computer.
Jonas: Streng dich an, Sammy.
Sam: Was tu ich denn wohl, du Obergurke. Melde gehorsamst, Herr Oberleutnant, Minicam blockiert. Aber lang schaff ich's nicht.
Jonas: Jonas kroch durch das Loch im Felsen. Zu Karla. Dahinter war ein niedriger Gang, abgestützt durch Metallstreben, ein aufgegebenes Bergwerk, aus der alten Zeit, als hier Menschen lebten und arbeiteten. Karla ging voran und leuchtete, mit einer starken Taschenlampe. Gut für uns, aber auch gut für die Minicam. Sie war uns gefolgt, unter die Erde, wir konnten sie nicht abschütteln, nur blockieren. Was Sam immer schwerer fiel.
Jonas: Geht's noch Sammy.
Sam: Soso lala.
Jonas: Halt durch.
Sam: Ja, Sam tut was er kann. Sam gibt alles.
Karla: Stop. Hier beginnt ein Schacht, da müssen wir runter.
Jonas: Nur zu. Karla hatte alles bei sich, in ihrem Rucksack, Seile, Steigeisen, Wandhaken. Wir kletterten. Tiefer, immer tiefer, die Luft wurde schlecht, Sam stöhnte, dann war der Schacht zu Ende, und es ging waagerecht weiter, die Luft blieb schlecht. Zum Glück gab es hier keine Ratten, wie in der babylonischen Unterwelt. Wieder ein Schacht, diesmal nach oben, wieder klettern, Stunden um Stunden, so kam es mir vor, bis wir über uns Licht sahen. Ich zog mich hoch und war draußen. Die Minicam folgte, in vorsichtigem Abstand.
Sam: Ich kann nicht mehr. Sam muß aufgeben, kein Strom. Hast du mal ein Watt Mister.
Jonas: Woher nehmen Sammy. Karla, wo sind wir? Karla?
Sam: Weg. Verschwunden. Wie die Wurst im Spunde. Spinde. Terroristin. Mal da mal weg, einfach so. Denn unergründlich sind ihre Wege. Amen.
Ah, Bild und Ton sind wieder da.
Ziemlich unscharf. Und wackelig.
Die Radioaktivität. Jonas ist im toten Land.
Sieht so aus. Irgendwie muß er über die Mauer gekommen sein.
Eher unten durch.
Ins tote Land werden sie ihn nicht verfolgen, unsere Leute und Stalin.
Das können wir von ihnen auch nicht verlangen.
Heißt das, Jonas ist uns entwischt?
Kein Stück. Im toten Land wird er krepieren. Langsam und unschön.
Und wir sind dabei. Wunderbar.
Jonas: Jonas stand auf einem schmalen Streifen Land, Felsen besser gesagt. Über ihm eine brennende rote Sonne, rechts die Mauer, die von hier noch bedrohlicher wirkte als vom Niemandsland. Auf der linken Seite ein riesiger See, bis zum Horizont. Gewaltige Öllachen schwammen auf dem trüben Wasser. Sie schimmerten in allen Regenbogenfarben. Ab und zu blubberten Blasen aus der Tiefe und zerplatzen an der Oberfläche, mit infernalischem Gestank. Nicht sehr einladend. Ich dachte an Fall Euromüll. Die Giftmülldeponie in Afrika. Aber ich dachte nicht lange, dazu war keine Zeit.
Sam: Man schießt, Genosse.
Jonas: Auf uns, Sammy, die Roboguards auf der Mauer.
Sam: Willst du warten, bis sie sich auf dich eingeschossen haben, Stupido.
Jonas: Nicht unbedingt, aber was.
Sam: Schiffahrt tut not, Herr Vizeadmiral. Unser Kuzunft, Zukunft liegt auf dem Wasser. Steche in See.
Jonas: Ungern Sammy.
Sam: Ja, fällt dir was besseres ein?
Jonas: Leider nicht.
Jonas: Am Ufer lagen verrottete Plastikteile, ich griff mir einen leeren Behälter, groß und rund wie ein Baumstamm, noch einigermaßen in Schuß, damit sprang ich in den See, ein leiser müder Platsch, Jonas strampelte mit den Beinen, und kam so schnell weg vom Ufer, auf daß die Roboguards eifrig ballerten. Sollten sie. Ich strampelte weiter und weiter, Stunden vergingen, vielleicht Tage, hinter mir verschwand die Mauer, vor mir erschienen Berge, in weiter Ferne. Plötzlich packte mich was am Bein, eine Hand, eine Flosse, ein Wesen mit Menschenaugen und einem Fischmaul voller scharfer Zähne tauchte aus der Brühe auf, es war nicht allein, das Wasser geriet in Bewegung, mehrere Fischmenschen schnappten nach Jonas, der schlug aus und schlug um sich, es waren zu viele. Sie hätten mich unter die Oberfläche gezerrt, aber es wurde flacher, die Fischmenschen blieben zurück. Ein Stoß, mein Behälter saß fest, in schwarzem Sand. Jonas watete an Land und stolperte weiter.
Können Sie was sehen, General.
Grau in Grau.
Die Signale der Minicam werden immer schwächer.
Von Fischmenschen zerfleischt, das wär's doch gewesen.
Abwarten.
Ah, wir haben wieder Bild.
Aber keinen Ton.
Mein Gott, wo sind wir, wie sieht's denn da aus?
Jonas: Knallbunt giftgrün signalrot gallegelb der Boden bestand aus geschmolzenem Plastik, spitze Zacken scharfe Kanten, das Gehen war mühsam wohin ich ging wußte ich nicht, immer weiter nach Osten, immer tiefer ins tote Land, das mit jedem Schritt toter wurde. Ich blieb stehen. Am Weg ragte eine hohe Eisenstange auf. Verrostet und zerfressen. Darin hing die ausgestopfte Haut eines Menschen mit zwei Köpfen.
Sam: Zweifellos eine Warnung, Meister.
Jonas: Für mich?
Sam: Ja, und wer sonst noch vorbei kommt.
Jonas: Warnung. Wovor?
Sam: Weiß nicht. Spielen nicht mehr mit, die kleinen grauen Zellen. Sammy verblödet. Demenz. Alzheimer.
Jonas: Sam, du redest irre.
Sam: Sag ich ja. To... Total irre. Total Irrsinn. Sammy muß aufgetankt werden, dringend.
Jonas: Es geht nicht, Sammy. Versuch durchzuhalten.
Sam: Gib mir Strom, Meister, nur ein ganz kleines bißchen. Bitte.
Jonas: Noch einer mußte dringend aufgetankt werden. Seit Tagen hatte ich nichts in den Magen gekriegt. Ich merkte, wie ich immer schwächer wurde und immer schwerfälliger voranstolperte, bis ich weit vor mir was sah und sofort wieder zu Kräften kam.
Jonas: Da, Sammy, ein Haus. Da steht Ca-sa-blanca. Das Casablanca. Da gibt's Strom, Sammy und Synthwhisky und was zu essen. Gleich, Sammy, gleich sind wir da. Ohh, oh oh... Das Casablanca ist weg. Einfach weg.
Sam: Ja, schon mal was von Fata Morgana gehört. Glotzkopf. Vater Morgana. Mutter Morgana. Oma Opa Onkel Morgana. Ganze Familie Morgana.
Jonas: Jetzt drehst du endgültig durch, Sammy.
Sam: Na und. Keine Kraft. Kein Saft. Sam wird dahingerafft.
Jonas: Sammy.
Sam: Nein hilft alles nichts, Chef. Sammy muß sterben.
Jonas: Nein, Sammy, nein.
Sam: Ist noch so jung. So jung.
Jonas: Computer können nicht sterben.
Sam: Wetten daß doch. Leb wohl Meister.
Jonas: Sammy.
Sam: War schön mit dir, echt super. Vergiß Sammy nicht. Und und begrab mein Herz an der Biegung des Flusses.
Jonas: Du hast kein Herz, Sammy.
Sam: Wetten daß doch. Sammy hat Gefühle. Sammy ist ein Mensch.
Jonas: Du übertreibst.
Sam: Vielleicht ein bißchen. Klingt aber schön. Irgendwie richtig schön. Und tschüß.
Jonas: Tschüß Sammy. Natürlich war ich traurig, sehr sogar, aber nicht nur. Ganz tief unten regte sich ein völlig anderes Gefühl. Ein Gefühl der Erleichterung, der Befreiung, endlich Ruhe. Ich stolperte weiter, und irgendwann muß ich dann eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, war alles anders. Die Luft, das Land, die Farben. Um mich nicht mehr das bunte Gift des toten Landes. Ich sah Grün. Gesundes, lebendiges Grün, Bäume, viele Bäume. Lianen und Orchideen. Ein richtiger Urwald. Affen turnten durch die Zweige, Vögel sangen, unter meinen Füßen war Erde, braune Erde. Träumte ich?
Jamaro: Hier Jonas, hier ist dein Weg.
Jonas: Jamaro?
Jamaro: Folge mir.
Jonas: Aber du bist doch tot.
Jonas: Jamaro ging voraus, undeutlich, schattenhaft, zwischen den wuchernden Pflanzen kaum zu erkennen. Dann wurde es vor uns heller, immer heller. Jamaro winkte mir zu, und verschwand. Ich trat aus dem Wald ins Licht. Vor mir eine wunderschöne Landschaft, braune Hügel, grüne Wiesen, goldene Felder, vom tiefblauen Himmel schien eine freundliche gelbe Sonne, und in der Ferne sah ich eine Stadt, Häuser, Giebel, Türme, Wetterfahnen. Babylon? Aber diese Stadt war kleiner, ohne Klimadom, und viel schöner. Babylon, wie es vielleicht einmal war, wie es hätte sein können. Ich ging auf die Stadt zu, und aus der Stadt kam mir jemand entgegen. Ich blieb stehen. Ich steckte mitten in einem Wunder, aber ich konnte es nicht glauben. Judith. Judith Delgado. Keine Doppelgängerin mit Plastiface und Mord im Herzen. Judith, meine Judith, sie lief auf mich zu, und auch ich begann zu laufen.
Judith: Jonas.
Jonas: Judith.
Judith: Endlich bist du da, ich warte schon so lange. Komm.
Jonas: Wohin?
Judith: Nach Babylon natürlich. Da wirst du gebraucht. Philip Marlowe wartet auf dich, Sam Spade, Nestor Burma, die freuen sich mit dir zu arbeiten. Und ich freu mich, weil du nun endlich da bist. Komm.
Noch immer kein Bild.
Die Minicam ist endgültig hinüber.
Was ist mit Jonas.
Er ist zusammengebrochen. Das war das letzte, was wir gesehen haben.
Der kommt nicht mehr hoch.
Jonas sind wir los. Oder meine Dame, meine Herren?
Ich schlage vor die Aktion Jonas für erfolgreich beendet zu erklären, was meinen sie.
Etwas unbefriedigend, aber wie die Dinge liegen. Einverstanden.
Von mir aus. Machen wir ein Ende.
Das war Abgesang. Eine Folge der Science-Fiction-Krimiserie Jonas. Nur Jonas. Und Sam. Von Michael Koser. Nähere Informationen und die Folgen zum kostenlosen Download finden Sie unter www.jonas-nur-jonas-und-sam.de. Eine Produktion der Kanzlei Dr. Bahr. Den Detektiv Jonas sprach Bodo Primus, seinen Supercomputer Sam Peer Augustinski. Außerdem hörten Sie: Karin Anselm, Katja Brügger, Gisela Ferber, Uwe Friedrichsen, Stefan Gnad, Thomas Karallus, Vanida Karun, Andrea Lienau, CHRIzzz Morgenroth, Klaus Nietz, Deef Pirmasens, Christian Stark, Angelika Thomas, Henning Venske, Peter Weis und Elena Wilms. Ton und Technik: Marcus Giersch und Christoph Guder. Aufgenommen im Tonstudio Fährhauston in Hamburg (2008). Regie: Werner Klein.